Wie so viele Musiker*innen habe ich von frühester Jugend an Biografien gelesen, vor allem von Sängern und Sängerinnen, von all den ganz großen, wie Pavarotti, Freni, Sutherland, und was ich noch in meiner Bücherei finden konnte. Diese Biografien dienten mir als Vorbild und Inspiration. Allerdings möchte ich auch sagen, daß viele Biografien Lobhudeleien sind. Das gönne ich meinen KollegInnen, aber mir als angehender Sängerin gaben sie wenig Inspiration und Motivation. Es war viel spannender für mich zu lesen, wie Künstler*innen Hürden genommen haben, und dann erfolgreich wurden. Da es aber durchaus Biografien gibt, die mir viel gegeben und gezeigt haben, möchte ich hier einige vorstellen:
Maria Callas
Ich war und bin ein großer Maria Callas Fan. Von ihr habe ich alles auf Deutsch, und später auf English gelesen, was ich in die Finger bekommen konnte. Auch jeder Bildband über sie hatte es mir angetan. Ich finde ihren Werdegang von der „hässlichen, bebrillten, unsicheren und jungen Frau“ zu einer der größten Sängerinnen aller Zeiten bemerkenswert, und ihre Wandlung konsequent. Da sticht für mich unter all den Büchern das Buch von Jürgen Kesting heraus, da er Stimmkenner und ein bekannter und versierter Musik-Kritiker ist. Er beschreibt nicht nur die wichtigen Stationen von Callas, sondern auch wie sich ihre Stimme entwickelt hat, und wie sich welche Rollen auf ihre Stimme und ihren Erfolg auswirkten.
Peter Schreier
Die Biografie von Peter Schreier habe ich als sehr ehrlich empfunden, und sie hat mir als ganz junge Sängerin sehr weitergeholfen. Als ich 16 war durfte ich das „Laudate Dominum“ von Mozart mit Schulchor und Orchester in einem großen Konzert singen. Es war mein erster großer Auftritt als Solistin, allerdings, vielleicht war ich auch zu nervös, wurde ich drei Tage davor krank und heiser. Und ich machte den Fehler, anstatt zu ruhen, meine Stimme immer wieder zu testen, was denn noch ging, und ich machte sie damit immer müder und kränker. Die Stimmbildnerin der Schule hätte mich schützen sollen, und mir verbieten sollen aufzutreten. Aber ich wollte es so sehr. Ich quälte mich durch die Proben, forcierte, und es wurde immer schlimmer. Als ich dann das ersehnte Konzert sang, war meine Stimme so kaputt, daß wenig schöne Töne rauskamen und jeder hörte, daß ich krank war. Ich stand vor dem Orchester, und gleichzeitig wollte ich vor Scham und Peinlichkeit im Erdboden versinken. In der Zeitung stand am nächsten Tag: „Die Sängerin Irene Kurka sang den Mozart indisponiert.“ Ich wollte mich unsichtbar machen, dachte jeder in Erlangen zeigt mit dem Finger auf mich, und sah meinen Traum von der Gesangskarriere schwinden. Da fiel mir die Biografie vom Tenor Peter Schreier in einem Antiquariat in die Hände. Ich habe sie günstig erworben, und fing an zu lesen. Ich kam zu der Geschichte des jungen Peter Schreier, erwachsen im Vergleich zu mir, der krank ein Konzert sang und von der Kritik verrissen wurde. Und es ging ihm genauso wie mir. Aber dennoch ist er ein sehr bekannter Tenor geworden, und er ist seinen Weg weiter gegangen. So hat diese Biografie mich ermutigt weiterzusingen, Gesang zu studieren und Sängerin zu werden. Danke Peter Schreier!
Renée Fleming
Die Geschichte von Renée Fleming hat mich auch zutiefst bewegt. Zum einen, weil sie ehrlich darüber spricht, wie schwierig es ist, seine Stimme in seinem Körper zu finden. Dieser lange Prozess, dem wir Sänger*innen uns aussetzen. Zum anderen, da sie kurz vor ihrem Durchbruch bereit war, das Singen aufzugeben. Zahlreiche Vorsingen führten zu nichts. Wie schade wäre das gewesen. Und manchmal wissen wir eben nicht, daß der Erfolg vielleicht schon um die Ecke liegt, wenn wir es nur einmal noch versuchen, und noch einmal Vorsingen gehen, so wie Renée Fleming. Als sie sich hat scheiden lassen, fiel es ihr sehr schwer, ihre Paraderolle der Mozart Gräfin zu singen. Sie beschreibt sehr offen, wie sich die Trennung auf ihre Nervosität und Stimme ausgewirkt hat. Ich bin so dankbar über die Offenheit und Ehrlichkeit dieser Sängerin. Es macht sie menschlich und nahbarer, und dadurch wird es auch für mich leichter, zu meinen Herausforderungen und Schwächen zu stehen.
Edita Gruberova
Zu guter letzt möchte ich noch die Biografie der kürzlich verstorbenen Edita Gruberova erwähnen. Ich bin ein großer Fan von ihr, weil sie oft sehr ungewöhnliche und mutige Entscheidungen getroffen hat. Sie war früh an der Staatsoper in Wien, aber man gab ihr nicht die Rollen des Belcanto, mit denen sie später Triumphe feierte. Sie musste anfangs sehr darum kämpfen. Sie hatte bereits früh große Plattenverträge mit den bekannten Labels, diese forderten jedoch Rollen von ihr, in denen sie sich selbst nicht sah. Sie löste die Verträge auf, sang Belcanto, gründete ihr eigenes CD Label „Nightingale“, und wurde weltberühmt. Es gehörte so viel Mut dazu, sich von den größten Plattenlabels zu trennen, um ihrer Intuition zu folgen, ihrem Gespür welche Rollen wirklich passend sind. Ich bewundere Menschen, die sich treu sind und die es wagen, einen Weg abseits der üblichen und oft beschrittenen Wege zu gehen. Dadurch, daß sie die passenden Rollen sang, konnte sie bis ins hohe Alter singen. Daher mein Dank an diese große Sängerin.
Bücher:
Jürgen Kesting: Maria Callas; Claasen Verlag
Peter Schreier: Aus meiner Sicht: Gedanken und Erinnerungen; Union
Renée Fleming: The Inner Voice; Virgin Books
Markus Thiel: Edita Gruberova – Der Gesang ist mein Geschenk; Bärenreiter/Henschel