Gabiz Reichert zeigt auf seinem Debut-Album, dass es sich immer lohnen wird, Fragen an die Musik und auch an die Musikgeschichte zu stellen. Den Schweizer Pianisten, der von Hans-Jürg Strub auf einen guten Weg gebracht wurde, danach bei Antti Siirala studierte und mittlerweile auf internationaler Karriere unterwegs ist, interessierte bei der Werkauswahl für sein CD-Debut ein ganz bestimter biografischer Aspekt.
Wann haben Wendepunkte in der künstlerischen Biografie stattgefunden? Wie und wo zeigt sich, dass Josef Haydn, Ludwig van Beethoven und Sergej Prokofiev auf jeweils individuelle Weise nach vorne blickten? Eben so, wie Gabiz Reichert seine eigene junge Karriere als einen neuen Pfad in die eigene künstlerische Zukunft definiert?
Fündig wurde der 1994 in Winterthur geborene Pianist zum einen in Josef Haydns Klaviersonate Hob XVI/52. Sie nimmt in so vorher noch nicht erlebter Konsequenz die Experimentierfreude eines Ludwig van Beethoven vorweg. Schon in der verschachtelten Themenstruktur des Kopfsatzes bringt Gabiz Reicherts artikulationsfreudiges Spiel mächtig Licht in die Sache, dann zieht es hinein in die emotionale Tiefe des Adagiosatzes, bevor in der capricciohaften Virtuosität des rasanten Finales die fabelhafte Geläufigkeit in Reicherts Spiel umso mehr erfahrbar wird. Hier lebt eine Faszination, die er mit dem Tonschöpfer wohl teilt: Josef Haydn artikulierte in dieser virtuosen Sonate seine eigene Begeisterung für einen neuartiges Hammerklavier, welches er in England zum ersten Mal ausprobieren durfte.
Gabiz Reichert lässt keinen Stein auf dem anderen
Auch Ludwig van Beethoven ging in seiner Sonate opus 26 neue Wege. Berühmt wurde dies Sonate durch einen ausgiebigen Trauermarsch, welcher singulär in Beethovens Klavierschaffen bleibt. Auch davon abgesehen bleibt kein Stein auf dem anderen in Bezug auf die ehrwürdige Sonatenhauptsatzform: Ein Variationengeflecht bildet den Kopfsatz. Das Scherzo folgt danach und auch das Finale bleibt zuverlässig unberechenbar. Ein Interpret ist hier besonders gefordert, um den logischen Spannungsbogen zu erkennen. Reichert behält hier durch seine überlegene Dosierung der Mittel einen hervorragenden Überblick. Was auch für das Album im ganzen gilt, wirken hier doch die Sonaten von Haydn und Beethoven wie ein tonal und dramaturgisch in sich geschlossenenes Gesamtgefüge.
Einen kraftvollen Aufbruch in ein neues Zeitalter markiert Sergej Prokofievs Sonate Nr. 5 – und Gabiz Reichert lässt auf dieser CD ausgiebig daran teilhaben. Ist die Sonate seit jeher ein „Underdog“ geblieben, weil sie sich zwischen einer russischen Tradition und den vielen Anregungen durch das Pariser Musikleben nicht so recht festlegen wollte? Gabiz legt in seinem reflektierten Spiel die Gründe dafür offen, was aber umso mehr auch den Reiz dieser Komposition ausmacht. Mit großer Eleganz und einer technischen Versiertheit, die nach oben keine Grenzen kennen mag, geht der junge schweizer Pianist auch hier zu Werke. Unter anderem liegt die hohe Kunst darin, aus gehäufter Chromatik viele leuchtende Klangfarben heraus zu destililieren und den komplexen kontrapunktischen Verläufen einen subtilen emotionalen Reichtum abzulauschen. Gabiz Reichert nimmt seine Hörerschaft auf dem eigens hierfür ausgewählten Bösendorfer-Flügel auch auf solche Pfade mit und lässt eine hohe disziplinierte Präzision ohne zu viele Extravaganzen walten. Und dafür bietet auch die wie immer glasklare, herrlich frische Tonqualität dieser ARS-Produktion beste Voraussetzungen.