Ein Interview mit der Flötistin Susanne Schneider
Nach dem Interview mit Heike Matthiesen konnte ich nun eine weitere Interviewpartnerin gewinnen. Susanne Schneider spielt Querflöte im MDR Sinfonieorchester mit Verpflichtung zum Piccolo. Im Ensemble Leggieramente spielt sie Kammermusik zusammen mit zeitweise Harfe und zeitweise Klavier. Das Ensemble legt einen besonderen Fokus auf Familien- und Schulkonzerte, und leistet so einen äusserst wichtigen Beitrag dazu, Kultur und Musik in zeitgeschichtlichem Zusammenhang direkt zu Menschen zu bringen.
Ausserdem betreibt Susanne den Blog “leggiero flautato”, in dem sie ungezwungen vor allem auf Reisen oder von unterwegs berichtet.
Und nicht zuletzt ist da das politische Engagement, in dessen Rahmen sie sich für fairen, politischen Diskurs in der Gesellschaft einsetzt, und sich öffentlich dazu äussert.
Nun hat sie sich meinen Fragen gestellt.
Susanne, gleich eine knallharte Frage zu Beginn: Gibt es ein Stück über das Du Dich besonders freust, wenn es auf dem Programm steht, weil Du es sehr gern im Konzert spielst?
Es gibt einige Stücke, die ich sehr gern spiele, aber generell freue ich mich meist auf die Stücke, die gerade anstehen, ich möchte da nichts speziell hervorheben. Ganz besondere Höhepunkte sind aber nach wie vor Mahler-Sinfonien, das Brahmsrequiem (wohl weil wir es oft mit unserem hervorragenden MDR-Chor spielen und es da immer besondere Momente gibt), aber auch viele andere Stücke. Es ist aber so wie mit allem, auf die Dosis kommt es an. Ich bin sehr zufrieden mit einer vielfältigen Mischung.
Welche Selbstwirksamkeit erfährst Du als Orchestermusikerin in Bezug auf das Publikum? Inwieweit erlebst Du, dass du bei Konzerten Freude und Unterhaltung zu den Menschen bringst?
Man spürt auf der Bühne vieles aus dem Publikum, merkt, ob der Funke übersprang oder nicht. Als Bläser hat man in Pausen manchmal Gelegenheit, in Gesichter zu sehen, das ist oft sehr inspirierend. Eine Reaktion des Publikums zu spüren setzt aber immer die eigene Aufmerksamkeit voraus und auch, wie man selbst auf die Bühne geht. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich das, was ich spiele, zu den Menschen bringen will. Es geht ja in der Musik, die wir spielen, nicht immer nur um Freude und Unterhaltung, oft sind aufrüttelnde Themen Inhalt, Komponisten schreiben ihre innere Zerrissenheit in Töne, man hört Konflikte, Kämpfe, Liebe in allen Schattierungen… ich finde es sehr wichtig, sehr viel über die Musik, die man da spielt, zu wissen und vor allem auch über ihre Entstehungszeit, dann kommt das auch beim Publikum an.
In Gesprächen nach dem Konzert begegnet mir oft aus dem Publikum viel Wertschätzung und ehrliches Interesse, etwas, das ich bei manchen Musikern manchmal abgestumpft vorfinde. Musiker sind oft zu sehr damit beschäftigt, ob technische Details gut gelungen sind oder nicht. Natürlich ist das wichtig, man ist ja ein kleines Zahnrad im großen Getriebe, das funktionieren muss, aber am Ende zählt nur der Gesamteindruck für das Publikum und „ob der Funke übersprang“. Die Fähigkeit, schon oft gespielte Werke immer wieder neu zu entdecken, ist wohl eines der schwierigsten Sachen im Leben eines Orchestermusikers, aber genau das ist unabdingbar. Manch einer verbeißt sich in technischen Schwierigkeiten oder ist zu sehr im „Gruppenzwang“ (bei Streichern ist das ein Riesenthema) und verliert den Blick aufs Große-Ganze. Mir geht es so, dass ich in jedem Konzert andere Dinge erhöre und so auch immer tiefer in den Inhalt eindringe. Man kann Musik immer wieder anders beleuchten und andere Details hervorheben und das ist das Schöne an Livekonzerten. Das bestätigen mir immer wieder die Reaktionen aus dem Publikum. Es ist eben ein Unterschied, ob man einer perfekt produzierten CD (oder einem ähnlichen Medium) oder einem Orchester lauscht, das aus vielen, verschiedenen Individuen besteht, das menschlich reagiert, vielleicht auch Fehler macht, aber Musik in diesem einen Augenblick und nicht wiederholbar unter die Leute bringt. Ich liebe das sehr und mag die verschiedenen Reaktionen danach. Wenn nach einem Konzert mit anspruchsvollen und emotional sehr aufrüttelnden Werken erst einmal Stille entsteht, ist das manchmal eindrucksvoller als lauter Jubel über tolle Unterhaltung (was es aber auch geben muss).
Wie ist bei Deiner Arbeit die Verteilung von Klassik und Romantik zu Neuer Musik? Studiert Ihr viel Neue Musik ein, und ist das aufwändig für Dich?
Als Mitglied eines Rundfunkorchesters begegnet mir oft neue Musik. Ich finde es immer spannend, spiele Stücke noch lebender Komponisten sehr gern, liebe es, wenn Komponisten selbst zur Probe anwesend sind und mit uns arbeiten. Sicher ist es manchmal aufwändig, vor allem, wenn viele neue Spieltechniken in den Stimmen vorkommen, die erst erklärt werden müssen, aber es ist eine Freude, herauszufinden, was der Komponist damit ausdrücken möchte.
Es gab Zeiten, da war in jedem Konzert mindestens ein Stück eines noch lebenden Komponisten auf dem Pult, derzeit wird oft „historisierende Denkmalisierung“ betrieben, wenn ich das so ausdrücken darf. Das betrifft nicht nur unser Orchester, sondern allgemein. Zu Zeiten von den heute von uns so verklärten Komponisten (nehmen wir als Beispiel stellvertretend für viele andere nur die großen B´s: Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner) wäre es undenkbar gewesen, derartig historisierende Programme aufzuführen. Die Leute wollten Neues hören! Ich hoffe, wir alle werden wieder so neugierig und hören uns auch die Werke an, die bei manchem Komponisten in der Schublade liegen, weil keiner sie aufführt, weil das Publikum sie angeblich nicht hören will. Sicher ist es nicht immer schön und „unterhaltend“, aber das ist für mich auch nicht der Sinn von Musik. Ich glaube, wir alle sollten in diesen Dingen wieder viel neugieriger sein und uns damit auch auseinandersetzen.
Die Flöte hat in vielen Werken eine besondere Rolle. Genießt Du diese Gestaltungsräume, oder kann das manchmal auch Druck bedeuten?
Ach naja… die Flöte ist die höchste Stimme im Holzbläsersatz, ja. Ich bin im Orchester als zweite Flöte mit Piccolo engagiert, da spielt man so als Allrounder, unterstützt die Soloflötisten nach Kräften, verdoppelt, liefert sozusagen ein gut klingendes Fundament oder ergänzende „selige“ Terzen, damit der Leuchtturm gut leuchten kann. Im Satz hat man viel Verantwortung für den Wohlklang, mit nichtstimmenden Akkordtönen kann man für die ganze Gruppe Schaden anrichten – so wie jeder Holzbläser im Satz, nur zusammen sind wir ein gutes Herz des Orchesters, wir sitzen nicht umsonst in der Mitte des Orchesters. Holzbläser sind „die Harmonie“ im Orchester, ich genieße diese Gestaltungsräume sehr und auch, wenn man es nicht unmittelbar merkt, jeder von uns hat eine besondere Verantwortung. Es gibt Dirigenten, die schätzen das und fördern uns sehr, „machen uns Platz“ und dann gibt es Dirigenten, die regulieren den Rest des Orchesters nicht so, dass Harmonie zustande kommt und dann klingt es auch danach. Druck bedeutet es mir nicht, ich habe Freude daran, Akkorde zum Leuchten zu bringen und mit Mittellinien im Satz Musik zum Klingen zu bringen (eine schlecht gespielte Begleitung, die nicht auf die Solisten eingeht, kann viel ruinieren).
Wie erlebst Du die körperlichen Auswirkungen der Arbeit im Orchester? Gerade bei der Flöte ist das bestimmt anspruchsvoll für die Körperhaltung.
Körperhaltung und -stärkung ist A&O. Ich hatte Glück, dass alle meine Lehrer schon von Anbeginn darauf achteten, dass keine Schieflagen und unnötigen Belastungen entstehen, mir Übungen zeigten, wie ich Verspannungen begegnen kann. Entspannungs- und Atemübungen begleiten mich schon ein Leben lang, tägliche stärkende Rückenübungen nun wieder mehr. Ich habe es aus Zeitgründen, als meine Kinder klein waren eine Weile vernachlässigt, da bekommt man schnell die Quittung – all das jeden Tag auf die Reihe zu bekommen, ist nicht einfach im täglichen Wirrwarr, aber ich muss das ja den eigenen Kindern und Schülern vorleben… Wichtig ist für mich, dass ich die Alltagsprobleme, die oft allgegenwärtig sind, sei es in Familie oder in der Gesellschaft, hinter mir lasse, sobald ich auf die Bühne gehe. Das übt man ein Leben lang. Dass dann nur die Musik zählt, das ist vielleicht die größte Herausforderung. Ein tiefer Atemzug oder auch ein lauter Seufzer bevor es losgeht, ist da oft der Notanker, der Wunder tut.
Wir hatten in letzter Zeit die Maestro-Debatte in der es um die Dominanz von Dirigenten und deren Umgang ging. Was ist Dir denn persönlich lieber bei DirigentInnen mit denen Du zusammenarbeitest, jemand der oder die klar vorgibt was er oder sie möchte, oder ist Dir ein offenerer und kooperativer Arbeitsstil lieber?
Ich mag Dirigenten mit klaren Vorstellungen und einem offenen, kooperativen Arbeitsstil. Beides schließt einander ja nicht aus.
Es ist doch so: Der Dirigent kommt zum Orchester und hat eine Vorstellung, wie ein bestimmtes Stück klingen soll. Das Orchester hat das Stück eventuell schon oft gespielt und ist gespannt auf die Auffassung des Dirigenten. Im Idealfall ist auch jeder willig, den Dirigenten dabei zu unterstützen, „seine“ Lesart des Stückes auf die Bühne zu bringen. In der ersten Probe merkt man sehr schnell, ob ein Dirigent eine eigene Handschrift des Stückes verwirklichen will oder ob er das Stück „nur administrativ dirigiert“ und wartet, was das Orchester spielt. Dann beginnt die Arbeit am Stück, schnell stellt sich heraus, wo es hingeht. Folgt man dem Dirigenten, weil er eine klare Vorstellung hat, die seine eigene ist, er dem Orchester plausibel macht, dass mit ihm das Stück nur so zu spielen ist und steuert vielleicht auf eine gemeinsame Sternstunde zu oder hat er nichts zu sagen und alle spielen es so, wie man es eben dann zusammen spielt. Solisten im Orchester ringen immer um die Interpretation ihrer Soli, der Dirigent hat wahrscheinlich Wünsche, der Solist auch. Es gibt Dirigenten, die unnachgiebig und kompromisslos sind, aber die meisten hören gut zu und versuchen, das, was ihnen angeboten wird, so zu modulieren, dass es in das Gesamtkonzept passt. Mit einem kooperativen Arbeitsstil kommt man bei Orchestermusikern immer weiter als mit der unnachgiebigen „Maestro-Keule“. Es ist immer ein Geben und Nehmen, ein Leben lang. Ganz selten kommt es dazu, dass ein Orchester nicht mehr spielt, doch wie klingt ein Dirigent allein?
In Deinem Blog „leggiero flautato“ schreibst Du über vielfältige, kulturelle Themen. Ist das eher ein dokumentierender Ausgleich neben dem Alltag, oder willst Du Deine Leser gezielt und geplant mit bestimmten Themen in Kontakt bringen?
Mit dem Blog begann ich zu einer Blogparade auf Anregung von Tanja Praske, die unglaublich geschickt kulturelle Themen „blasenübergreifend“ ins Internet bringt. Das war eine Art Initialzündung. Vorher war ich schon in verschiedenen Netzwerken unterwegs, mal mehr, mal weniger aktiv, merkte, dass man ziemlich viel erreichen kann, wenn man sich nicht nur mit den Leuten der eigenen Szene verbindet, die oft sehr kultur-pessimistisch daherkommen, sondern seine Fühler sehr weit ausstreckt. Viel war und ist da zu entdecken! Für mich selbst war es ein Ausbrechen aus der eigenen Blase. Im eigenen Kollegenkreis war das nicht so verbreitet und das ist eigentlich bis heute so, vielen fehlt die Zeit oder auch einfach das Interesse an diesen Dingen. Oft herrscht auch noch das Vorurteil der „Selbstdarstellung im Netz“, mit dem viele ein Problem haben. Ich bin der Meinung, dass sich die Musikerblase viel mehr öffnen sollte. Es gibt immer weniger Menschen, die sich die Zeit nehmen, handgemachte Musik zu einem Teil ihres Lebens zu machen, viele wissen nicht mehr, was für einen Mehrwert es bringen kann, Musik selbst zu machen oder regelmäßig in Konzerte zu gehen. Wir müssen darüber erzählen, denn „Kultur ist der Kitt, der uns verbindet“ (vermutlich hat Frau Dr. Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden diesen Satz zuerst gesagt, ich habe es gelesen und verwende es seitdem sehr gern). Dabei ist nicht nur Musik eines der Themen, über die ich gern schreibe. Musik ist nur ein kleiner Teil von Kultur, die unser Leben bereichert, man muss alle Künste im Zusammenhang sehen, man muss alles zeitübergreifend verstehen lernen. Kultur ist ein Teil der Gesellschaft, eine ständige Auseinandersetzung damit ist unabdingbar. Das versuche ich, zu beschreiben.
Ich merke immer mehr, dass die Recherche für Blogartikel ihre Zeit braucht und sich auch mal ausdehnen kann. Gleiches gilt dann für das Schreiben der Artikel. Wie schaffst Du Dir Raum im Tagesgeschäft dafür?
Leider fehlt auch mir oft die Zeit zum Schreiben. Ich würde gern mehr Zeit investieren, aber an erster Stelle steht natürlich das Musikmachen und da bleibt nichts Sichtbares übrig.
Sich Zeit fürs Bloggen zu nehmen, ist nicht leicht, man muss es wollen. Manchmal ergeben sich Zeitfenster und dann nutze ich sie. Es ist aber ein ständiger Grat, die Familie bringt schon viele Opfer, weil ich ja oft an Wochenenden zu Konzerten unterwegs bin. Mein Mann hat einen Bürojob, die Kinder gehen zur Schule, alles startet früh in den Tag und wenn ich das einfach mit mache, obwohl ich oft noch müde bin nach langen Konzertabenden, sind die Morgenstunden meine Bloggerzeit oder auch spät nach dem Konzert, wenn ich noch nicht zur Ruhe komme. Ich blogge aber wirklich noch sehr selten.
Du engagierst Dich häufiger für politische Themen, gehst zu Versammlungen und Demonstrationen. Was bringt Dich dazu, und was ist Dir dabei besonders wichtig?
Es ist ein Bedürfnis einerseits, sich für eine offene, vielfältige Gesellschaft in Respekt voreinander einzusetzen. Musik macht nicht halt an Grenzen. Musik ist schon immer weltumspannend. Musik entsteht weltweit aufgrund denselben physikalischen Gesetzen und klingt doch so verschieden wie eben auch wir Menschen sind. Es ist einfach unglaublich spannend, den Unterschieden nachzugehen. Wie reich ist dieser Schatz der Menschheit. Politische Grenzen sollten Kultur nicht aufhalten und nicht einschränken, das, was heute da ist, zeigt bereits Vielfalt. Schon immer zogen Spielmänner durch die Welt, was sie im geistigen Gepäck hatten, bereichert uns bis heute.
Andererseits ist es für mich als Musikerin unerträglich, wenn ausgrenzende Themen wie Rassismus oder nationalstaatliche Tendenzen, deren Verwirklichung schon einmal oder auch mehrmals gründlich schiefgegangen sind im menschlichen Zusammenleben, immer wieder von einzelnen thematisiert werden. Es ist für mich nicht hinnehmbar, dass diese Leute Geschichte mit Tod und Vertreibung wiederholbar gestalten wollen. Ich muss an Vergangenes aus diesem kulturellen Schatz erinnern und dann eröffnet sich vielleicht eine gute Perspektive für die Zukunft. Es geht nur im Frieden und zusammen.
Ein weiteres großes Thema ist, den kulturellen Schatz der Menschheit für kommende Generationen überhaupt weiter sichtbar bleiben zu lassen. Die Krise, die unsere Erde derzeit bedroht, ist wohl so groß, dass wir kleinen Menschen nur ein Spielball der Naturkräfte sein werden. Wir sollten alles daran setzen, so verantwortungsvoll und achtsam miteinander und mit der Natur umzugehen, dass es eine Chance für die Erde und für uns gibt.
Findest Du dieses politische und soziale Interesse in Deinem Musikerumfeld häufiger? Gibt es da Solidarität für diese Themen?
Ja. Es wird viel diskutiert. Leider zu oft intern im Stimmzimmerchen.
Dieses Bewusstsein ist da, aber leider nicht überall. Es ist für manche sehr bequem, eine Stelle im Orchester zu haben, regelmäßig Geld zu bekommen und „Noten zu spielen“. Wenn man das offen anspricht, gilt man als „anstrengend“. *lacht
Kultur ist oft abhängig von staatlichen Fördergeldern, Zeiten ändern sich, Wahlen stehen an, es wird gedroht, Fördergelder zu streichen für unliebsame Veranstaltungen, es wird gefordert, nur bestimmte Inhalte zu verbreiten, politisch korrekt zu sein.
Aber: Ist es nicht Aufgabe von Kultur, aufzurütteln und zu fragen: Wie wollen wir miteinander leben? Müssen da nicht Stücke gespielt werden, die genau diese Fragen ansprechen, die aus der Vergangenheit mahnen? Müssen nicht Bilder gezeigt werden von Künstlern, die konträre Meinungen vertreten? Ist es nicht Aufgabe von Kuratoren, diese Bilder so zu platzieren, dass eine Diskussion unumgänglich ist? (Ich spiele bewusst auf eine gerade abgesagte Ausstellung der Leipziger Baumwollspinnerei an.) Was maßen sich Möchtegern-Politiker an, einschränkend auf kulturelle Inhalte hinzuwirken? Ist es nicht Aufgabe von uns allen, kulturelle Themen so zu diskutieren, dass vergangene Probleme und Fehler, die unsere Vorfahren machten, ja Katastrophen, die sich nicht wiederholen sollten, so sichtbar werden zu lassen, damit wir es in Zukunft besser machen können? Wir müssen hinschauen. Das ist anstrengend!
Die Konzertsaison 2019/2020 ist ja nun veröffentlicht. Auf welche Projekte freust Du Dich am meisten?
Oh, da gibt es einiges. Wir werden einige Radiomusiken spielen, also Musik, die extra für das Radio komponiert wurde und die damals zu Beginn des Sendebetriebs wohl sehr experimentell daherkam. Es musste ja erst herausgefunden werden, was im Radio klingt und was nicht, wie man überhaupt Musik im Radio sendet. All diese Fragen finde ich sehr spannend, bald, im Jahr 2024 haben wir ja hundertjähriges Jubiläum. Auch einige Musik der Bauhaus-Anfangszeit steht wieder auf dem Programm. Und natürlich wird es viel Beethoven geben, in den „kleinen“ Konzerten in Bad Lauchstädt, in großen in Leipzig und auch für junge Leute mit dem Beethoven-Experiment, wo es wieder viel Workshops und Mitmachaktionen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt. Vergangenheit strahlt in die Zukunft aus, das interessiert mich. Und natürlich wird weiter die spannende Frage sein: Wer wird unser nächster Chefdirigent? Damit steht und fällt viel Input für uns Musiker.
Aber auch meine ganz persönlichen Wege abseits des Orchesters möchte ich nicht verlassen, bringen sie mir doch viel in meinem künstlerischen Leben. Mit dem Ensemble Leggieramente werden weiterhin viele Schulkonzerte anstehen und wir planen neue Wege, wir haben zwar kein Jahresprogramm, aber dennoch einiges vor und das möchte ich nicht verschweigen. Wir laden uns Gäste ein, wollen mit Michael Stacheder aus Bad Aibling einen „Blick in die Welt von Gestern“ wagen. Da werden Texte von Stefan Zweig, dem Kosmopoliten zu hören sein und Musik aus dieser Zeit, denn Stefan Zweig wurde sehr durch die reiche Kulturlandschaft Wiens jener Zeit geprägt. Oder mit Max Mannheimers „Spätes Tagebuch“ wollen wir quasi einen Zeitzeugen berichten lassen, der nach langem Schweigen und tiefen Depressionen erst spät Worte für die Greuel der NS-Zeit fand, für den das Malen ein wesentlicher, der zur Heilung seiner geschundenen Seele beitragender Bestandteil seines Lebens war. Er sagte wohl: „Man soll nicht zu stark in der Vergangenheit grübeln, sondern nach vorne schauen, in der Kunst wie in der Politik.“ Wir wollen diese Themen nach Sachsen bringen und erinnern.
Und vielleicht wollen wir an Offline-Kultur-Haltestellen mit interessierten Passanten unser Online-Leben vorstellen. Wir beobachten immer wieder, dass das Interesse zwar da ist, es aber an einfachsten Kenntnissen fehlt, wie dieses „Neuland“ funktioniert. Wir sind vielleicht noch nicht so sichtbar, wie wir uns das wünschen und das sage ich ganz fern jeder Selbstdarstellung. Wichtig ist doch nur der Kitt, der uns verbindet und das ist Kultur im weitesten Sinne.
Susanne, vielen Dank für dieses Interview!