logogross

Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

cover_Harawi

Album-Preview: “Harawi” mit Sarah Maria Sun

Demnächst legen die Sopranistin Sarah Maria Sun und die Pianistin Stefka Perifanova eine neue Aufnahme des Liedzyklus “Harawi” von Olivier Messiaen vor. Brauchen wir davon wirklich noch eine Aufnahme? Sie haben recht, wir brauchen sie! Vor allem wenn zwei so versierte Musikerinnen ihre ganz eigenen Maßstäbe und Perspektiven anlegen. Denn für beide ist dieses Werk ein ideales Spielfeld um Fähigkeiten zu zeigen, Persönlichkeit auszuleben, und auch Weiterentwicklungen zu durchlaufen. 

Liebe & Tod

Messiaen schrieb “Harawi” im Jahr 1945 als ersten Teil seiner Tristan Trilogie. Das Wort „Harawi“ kommt aus der andischen Musik Südamerikas, und beschreibt ein Genre von Liebesliedern die oft mit dem Tod der Liebenden enden. Die Texte der Lieder bestehen aus surrealer Fantasiesprache , die höchstens in Symbolen zu verstehen ist. Ein Zusammenhang zu der in der Zeit vor der Komposition aufgetretenen psychischen Erkrankung Messiaens erster Ehefrau Claire Delbos ist zwar nicht durch eine Widmung des Werkes belegt, jedoch auch nicht auszuschliessen.  

Gestaltung und Ausführung

Eine der begeisternden Eigenschaften dieser Einspielung ist die starke Verbundenheit, die die beiden Musikerinnen offenbaren. Jede kann ihren Weg gehen, ihre Ziele verfolgen, und doch mit der Duopartnerin Hand in Hand bleiben.

In “L’amour de Piroutcha” singt Sun sehr frei, setzt die hohen Töne langsam und mit Bedacht an, und gibt der Musik so viel Atmosphäre. Dabei löst sie sich von traditionellen Techniken in Bezug auf Vibrato und Tongestaltung, und befreit somit die Musik zur Weiterentwicklung. Währenddessen nimmt Perifanova jede Gelegenheit gerne wahr um Widersprüche zu betonen, spielt nicht so sehr gefällig, sondern stellt stattdessen Fragen in den Raum.

Und dabei spielen beide Musikerinnen mit diesem blinden Vertrauen, finden auf den Punkt wieder zusammen.

Die Vielfalt in der Vortragsgestaltung zeigt sich auch in “Répétition planétaire”. Hier spielt die Pianistin plötzlich mit forderndem Tempo und gibt so dem Vortrag einen treibenden Charakter. Sun geht diese Intensitäten gerne mit und baut sie für sich weiter aus, indem sie geschickt ihr Timbre variiert um in Steigerungen noch mehr Spannung zu erzeugen.

Sarah Maria Sun, Photo © Rüdiger Schestag

 

Charakterstark

Insgesamt hat Sarah Maria Sun so eine große Formantbandbreite, die sie erfreulicherweise in dieser Aufnahme konsequent nutzt. Wo andere Sopranistinnen im Grundklang ihrer Stimme eingeschränkter sind, und hörbar daran arbeiten müssen, aus Selbigem auszubrechen, sitzt Sun sozusagen mittendrin in einem weiten Klangestaltungsfeld. So kann sie ganz ohne Mühe von dunklen, warmen oder sogar muffigen Klängen, zu helleren, manchmal bis zu scharfen, von immer geschmackvoll gesetztem Vibrato gestützten Tönen wechseln. Diese Anlage zusammen mit ihrer Ausbildung geben ihr Gestaltungsmöglichkeiten, die viele andere nicht haben. Die beeindruckenden Melodiekaskaden in “Adieu” sind nur ein Beispiel dafür, dass Sun diese Möglichkeiten eindrucksvoll zu nutzen weiß, während die Pianistin immer in ihrer Nähe spielt, und auch immer wieder zu ihr zurück findet. So gestalten sie Passagen manchmal einmütig, um anschliessend Perifanova die komplexeren Akkordgerüste mit transientenreichen Stakkati in den Raum werfen zu lassen.

Was Eigenes

Diese natürliche Gestaltungsfreude beider Musikerinnen findet immer wieder Höhepunkte, zum Beispiel wenn Sun die vielen Repetitionen in “Syllabus” gern als Gelegenheit nimmt zu formen, Strukturen zu bilden, sogar ein bisschen Katz und Maus zu spielen mit Perifanova. Oder wenn die Sopranistin und die Pianistin die jazzähnlichen Harmoniken in “Escalier” mit jovialer Spielfreude genießen.

Viele dieser Gestaltungsereignisse finden so in anderen Aufnahmen von “Harawi” nicht statt. Das macht diese Einspielung so einzigartig, dass man bei längerem hören sogar den Eindruck gewinnt, Sarah Maria Sun und Stefka Perifanova füllten Messiaens Werk an mit eigenen Geschichten und würden so das ursprüngliche Gemälde noch weiter malen.

Zum Glück müssen wir auf dieses spannende Erlebnis nicht mehr lange Warten. Die Veröffentlichung wird Ende September vorliegen auf Vinyl und bei Amazon / iTunes (Mode Records, USA).

Tracklist

  1. La ville qui dormait, toi 
  2. Bonjour toi, colombe verte 
  3. Montagnes 
  4. Doundou tchil
  5. L’amour de Piroutcha 
  6. Répétition planétaire 
  7. Adieu 
  8. Syllabes 
  9. L’escalier redit, gestes du soleil
  10.  Amour oiseau d’étoile 
  11. Katchikatchi les étoiles 
  12. Dans le noir 

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
Dots oben

Das könnte Dir auch gefallen

Dots unten
Dots oben

Verfasse einen Kommentar

Dots unten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Icon Mail lg weiss

Bleib informiert & hol dir einen
exklusiven Artikel für Abonnenten