Damals hatte ich elf Jahre lang Klavierunterricht. Elf geschlagene Jahre. Es war großartig. Die meiste Zeit habe ich tatsächlich lieber Klavier geübt, als raus Fussball spielen zu gehen. Da ist musikalisch so einiges passiert, und warum mich die Live-Einspielung Beth Levin – Hammerklavier Live so beeindruckt will ich versuchen hier in Worte zu fassen.
Die amerikanische Pianistin Beth Levin hat sich schon mit einigen Interpretationen von Beethovens Sonaten hervorgetan, und die hier eingespielte Sonate Nr. 29 in B-Dur op. 105 “Hammerklavier” ist sicherlich auch für sie ein Höhepunkt. Nach bester Ausbildung hat Levin in vielen verschiedenen Ländern in vielen verschiedenen Rollen Erfahrungen gesammelt, sowohl als Solistin als auch zu großen Teilen in der Kammermusik. Und mit den Jahren hat sie sich dabei auf die Musik u.a. Bachs und Beethovens spezialisiert, ihre Versionen der Goldberg- und der Diabelli-Variationen sind neben denen der Beethoven Sonaten viel beachtet.
Beth Levin – Hammerklavier Live
Am Anfang des vorliegenden Albums Beth Levin – Hammerklavier Live steht jedoch die Suite in d-Moll HWV 428 von Georg Friedrich Händel, die Levin mit viel Ruhe und Übersicht spielt. Gleich zu Beginn findet sie den Eingang in das Werk, hauptsächlich mit der genauen Planung der Tempi. So legt sie den Vortrag sehr mit Blick auf die dynamisch wechselnde Atmosphäre des Stückes an. Sogar im Allegro betont sie häufig die Weichheit dieser Musik, vor allem mit geschickter Anschlags- und Tongestaltung. Die vielen Verzierungen in “Air” gestaltet die Pianistin mit akribischer Genauigkeit, wobei sie aber niemals die Einbettung in die Gesamtdarbietung aus den Augen verliert. Zum Schluss spielt sie im “Presto” dann die lauten Anschläge voll aus, bleibt aber in den feineren Passagen immer auch verspielt.

Nun ist es bekannt, dass die Hammerklaviersonate im Spiel wohl die physisch Anspruchsvollste in diesem Sonatenzyklus ist. Lange habe ich bei dieser Aufnahme gerätselt, wie der sehr eigene Charakter dieses Spiels einzuordnen ist. Und plötzlich war er da, dieser Moment, den ich manchmal im Konzert erlebe, und ganz selten bei Aufnahmen. Das augenblickliche Verständnis für eine Interpretation, und auch die Leistung, die dahinter steht.
Plötzlich stand ich wieder als Klavierschüler am Flügel neben meinem Lehrer, der mir damals, als hervorragender Pianist, große, komplexe Werke der Klassik vorspielte, so dass ich ergriffen war von dieser Kunst. Es ist wieder dieses Erlebnis, wenn Levin diese Sonate live einspielt, die Ehrfurcht das mitzuerleben. Fast alle anderen Einspielungen sind ja geschnitten, können also nach Belieben korrigiert und zusammengesetzt werden, bis alles passt. Beth Levin hat das alles am Stück gespielt, und so entsteht dann diese charaktervolle Interpretation, die dann manchmal sogar seltsame Momente bringt, zum Beispiel bei den Variationen des Anschlags in der Mitte des dritten Satzes. Oder bei der Ausführung des Höhepunktes im “Allegro risoluto” im vierten Satz, wo sich einerseits Levins eigener Stil klar zeigt, sie aber andererseits einen Kontrast herstellt, indem sie davor und danach im “Largo” mit viel Luft und Gefühl Platz schafft.
Fazit
Insgesamt zeigt Beth Levin hier einen sehr lebhaften, energiegeladenen Vortrag, in dem sie immer hochkonzentriert die vielen Herausforderungen nicht nur meistert, sondern aktiv gestaltet. Vielleicht ist das nicht die einzige Version der Hammerklaviersonate, die man im Schrank hat, aber für Kenner und Liebhaber ist Beth Levin – Hammerklavier Live eine äußerst Interessante.