Am Anfang eines Reviews, auf den ersten Blick, steht fast immer ein grobes Thema und ein Cover. Und mit das Spannendste ist es, herauszufinden, was sich hinter dem Verkaufsoutfit verbirgt. Beim Album “Vespro Della Beata Vergine” (Marienvesper) im Rahmen des Green Mountain Project ist das besonders spannend, und zwar in doppelter Hinsicht. Denn es handelt sich hier nicht um eine einfache Aufnahme eines Vokalensembles mit Instrumentalisten. Hier kommt man zunächst mit dem Green Mountain Project in Kontakt, und lernt, dass dieses zehn Jahre währende Projekt recht spontan, ursprünglich als einmaliges Konzert mit Werken von Claudio Monteverdi in einer Kirche in New York City entstanden war, und erst später im Rahmen der TENET Vocal Artists aus New York City fester etabliert wurde.
In der Folge brachte TENET unter der künstlerischen Leitung von Jolle Greenleaf die besten, auf alte Musik spezialisierten Musiker aus New York City zusammen, und arbeitete über zehn Jahre lang daran, den Vortrag von Monteverdis Werken zu optimieren. Jedes Jahr wurde ein Konzert aufgeführt, die letzten beiden im Januar dieses Jahres in New York City und in Venedig. Aber schon das erste Konzert im Januar 2010 in der Kirche St. Mary the Virgin wurde begeistert aufgenommen und besprochen.
Das Werk
Die Marienvesper von Claudio Monteverdi ist ein wichtiges, sakrales Vokalwerk, das am Übergang von Barock zu Renaissance stehend, viele verschiedene Stilelemente und Kompositionstechniken vereint, gleichzeitig aber wohl als komplettes Werk gilt. Dennoch streiten sich Gelehrte noch, ob die unterschiedliche Zusammensetzung der Stücke wirklich der Intention der Komplettierung unterlag. Es wird vermutet, dass Monteverdi, unzufrieden in seiner damaligen Stellung in Mantua, im Jahr 1610 die Marienvesper fertigstellte, um sich im Vatikan um eine Stelle zu bewerben. Geklappt hat dies jedoch nicht, und der mittlerweile beschlagene Komponist wurde stattdessen Kapellmeister des Markusdoms in Venedig.
Die Vesper besteht aus 13 Sektionen in denen sich die liturgischen Bestandteile der Messe mit geistlichen Liedern mischten, die Monteverdi wohl hinzufügte, um seine Vielseitigkeit in der Komposition sakraler Werke zu demonstrieren. Dieser Demonstration galt überdies auch die Bandbreite an Techniken, die der Italiener bewusst vorführte, solide kontrapunktische Arbeit seiner Zeit, aber auch Referenzen zu viel älteren, geistlichen Melodien, gemischt mit weiteren, aktuellen Kompositionstechniken, zum Beispiel in den Psalmen. In vielen Sektionen bewies Monteverdi seine Kunst, Vokalarrangements und Solostimmen auf höchstem Niveau zu konzipieren, aber auch instrumentale Stücke zu beherrschen, wie im “Magnificat” zu hören ist.
All diese Mischungen aus unterschiedlichen Bestandteilen und Aspekten geben der “Marienvesper” ihren Status, aber auch ihren Komplettheitsanspruch, Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass viele Aufnahmen des Werkes existieren, und dass viele davon sehr unterschiedlich sind. Kann man solch ein Projekt doch auf unterschiedliche Weise angehen. Instrumentierung und Interpretation lassen ganz verschiedene Ausführungen zu, und so wirken Aufnahmen mit alten Instrumenten hier besonders eigenständig.
Akribie
Eine besondere und eigenständige Herangehensweise kann man auch in der vorliegenden Aufnahme nachvollziehen. Da hört man kein einmaliges Aufnahmeporjekt, denn die Akribie mit der hier über Jahre zu Werke gegangen wurde wirkt sich direkt aus, und führt interessanterweise zu einem sehr ausgewogenen Vortrag. Instrumente und Sänger*innen halten sich in Präsenz und Auftreten gut die Waage, wandern dann zwischen Vorder- und Hintergrund hin und her wenn es notwendig ist, und gestalten den Vortrag so mit genauem Darstellungsziel. Vor allem die Bläser beeindrucken mit besonders weicher Tongestaltung, besonders schön zu hören in “Nisi dominus”. Die vielen, vor allem schwierig zu singenden Ornamente in der Musik meistern alle Musiker*innen souverän, auch wenn man bei manchen Streichern dann und wann Intonationsschwankungen auszumachen glaubt.
Auch ist es in der Gesamtproduktion gut gelungen, in den vielen, für die Zeit typisch gegenläufigen Stimmen gut zu priorisieren, und damit fokussiertes Hören zu erleichtern. Da wird es nie unaufgeräumt oder undurchsichtig, was auch an der gut überlegten Platzierung der einzelnen Stimmen und Instrumente im Aufnahmeraum liegt.
Und so geschieht es, dass der Genuss eines solchen, großformatigen Werkes sowohl bei konzentriertem als auch bei entspannterem Hören immer angenehm und doch auch spannend bleibt.