Ich erlebe es so häufig, dass klassischen Musiker*innen ein Ruf vorauseilt, sei es ein selbst Erspielter, oder ein von Anderen Angeschriebener. Und manchmal bestätigt sich dieser Ruf dann für mich nicht, wenn ich mir die Musik genauer anhöre. Als ich die neue CD “Heritage” der ungarischen Cellistin Ildikó Szabó bekam war das wieder solch eine Situation, und ich war gespannt, wie die Musik sich bei längerem Hören entwickeln würde.
Im Zeichen der großen Familientradition, der Vater Péter Szabó war Solocellist im Budapest Festival Orchestra, und der Großvater Csaba Szabó gar beachteter Komponist, der, ausgebildet von Schülern Kodálys, sich der ungarischen Volksmusikforschung verschrieben hatte, hat Ildikó Szabó hier ein Album konzipiert, das beides tut. Die “Suite for Cello Solo & Cowbells” von Großvater Csaba Szabó macht Familienbande sichtbar, Werke von unter anderem Péter Eötvös und György Kurtág stehen für ungarische Musik, interessanterweise mit dem Fokus auf Neue Musik. Die hauptsächlich auf Solo-Cello-Werken aufgebaute Veröffentlichung gibt einen guten Überblick, über die vielen Möglichkeiten, die dieses faszinierende Instrument in der Neuen Musik hat.
Die Musik
Eine Auswahl an verschiedenen Spieltechniken zeigt die Cellistin in der “Suite for Cello Solo & Cowbells” ihres Großvaters mit Springbögen und Flageolets. Detailverliebt realisiert sie hier die feinen Nuancen in Dynamik und Tempo, bei unterhaltsamem Zusammenspiel mit den Kuhglocken.
Die Vierteltonharmonik im dritten Satz gestaltet sie sehr feinfühlig und musikalisch, spielt oft zaghaft und nutzt so Freiräume für den Gesang. Im vierten Satz “Finale” durchfliegt Szabó regelrecht die vielen Bogenschläge und -geräusche.
Ihre sehr musikalische Herangehensweise an die Interpretation zeigt sich noch intensiver in Ligetis “Cello Sonata”, die die Ungarin sehr melodienbetont ausführt. Sie legt damit großen Wert auf Spannungsbögen, Abschnitte und Zäsuren, was letztlich zu einer beeindruckenden Erzählstruktur und einer Fokussierung auf die übergeordneten Zusammenhänge in diesem Werk führt. Auch hier wieder steht die beeindruckende Agilität in schnellen, musikalischen Wechseln zu Buche, von fein gewebten Melodiedetails zu mit Druck gestrichenen, melodischen Exklamationen.
Hohe Konzentration
Szabó nutzt in dieser Aufnahme immer wieder gern die Dynamikbandbreite ihres Instruments aus. Wenn sie im zweiten Satz von Kurtágs “Signs, Games & Messages” das Cello so laut streicht, dass man meint, es würde sich aufblähen, um sich im nächsten Moment ganz den leisen, gläsern gestrichenen Tonfolgen hinzugeben. Verschmitzt und beinahe hinterhältig wird ihr Instrument dann im dritten Satz, mit den dunklen, ausweichend wirkenden Melodien, und geht über in fragende, zögerlich als einzelne Entitäten gesetzte Töne im vierten Satz, wo die Cellistin wieder viel Raum gibt, die Pausen ausspielt, und hohe Konzentration besonders auf die Einschwingphasen ihrer Töne legt.

Die Cellosonate in b-moll von Zoltán Kodály stellt die Musikerin wohl bewusst an den Schluss der Einspielung. Mit den kräftigen musikalischen Bildern hat sie hier nochmal die Möglichkeit ihr Instrument größer zu präsentieren als ein Soloinstrument, und sowohl in polyphonen Passagen als auch mit Klangvolumen fast einen ensemblehaften Eindruck zu vermitteln. In der Mehrstimmigkeit versteht Szabó es die einzelnen Linien gegeneinander zu stellen oder in Kontrast zueinander zu setzen, und erreicht so eine große Unabhängigkeit im simultanen Spiel mehrerer Aspekte. Das “Adagio con grand espressione” im zweiten Satz nimmt die Cellistin dann wörtlich, und breitet den Vortrag in mehrere Dimensionen aus, schwelgt in Tonumfängen, Dynamikbereichen und in frei gestalteter zeitlicher Ausdehnung, die mit Agogik nun nicht mehr beschreibbar ist. Mit dem “Allegro molto vivace” steht dann ein besonders lebhafter, fast fröhlicher Abschluss der Veröffentlichung, der die gesamte Werkauswahl gut einfasst.
Mutmasslich auch wegen ihrer noch andauernden Ausbildung an der Kronberg Academy stellt Ildikó Szabó hier ein Albumkonzept vor, das Aufsehen erregen und ein Referenzpunkt sein dürfte, nicht nur für sie als sich entwickelnde Künstlerin, sondern für Kolleg*innen gleichermaßen.