Einfach Klassik.

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Album-Review: Johannes Moser – Alone Together

Wenn jemand in einem Bereich alles erreicht hat, dann probiert er vielleicht mal etwas Neues aus. Und dabei können dann seltsame Dinge entstehen, es können aber auch wichtige Innovationen daraus resultieren, die anders nicht entdeckt worden wären. So einer ist der Cellist Johannes Moser. Er hat mit den besten Musiker*innen in den größten Häusern gespielt, und eine beeindruckende Diskographie geschaffen. Doch die Suche nach Neuem war eigentlich nicht das Ansinnen des Cellisten. Die sechs auf dem neuen Album “Alone Together” enthaltenen Kompositionen, die er bei amerikanischen Komponist*innen in Auftrag gegeben hat, waren eigentlich für ein Konzertprojekt gedacht, das aufgrund der Pandemie nicht zustande kam. Stattdessen hat Moser das ganze aufgenommen und nun als “Alone Together” veröffentlicht. Zu den neuen Kompositionen kommen noch Bearbeitungen ältere Werke, die so vorbereitet wurden, dass der Cellist sie alleine spielen kann. Soweit so gut, aber hier geht die Innovation erst los. Mehrstimmige Werke alleine zu spielen funktioniert nur mittels Aufnahmetechnik, und so hat der Solist alle Stimmen hintereinander selbst eingespielt. Das erinnert mich an den Motown aus den 1970er Jahren, als die Drummer das gesamte Schlagzeug hintereinander Instrument für Instrument aufgenommen haben. Schon damals ergab sich dadurch eine ganz eigene Klangcharakteristik, eben dieser statische, gleichmäßige Diskobeat. Johannes Mosers Cellospiel verändert sich ebenfalls durch diese Technik, aber in anderer Weise. Klingen manche Stücke auf dem Album wie Quartettmusik, so achtet man da beim hören meist auf die Details im Zusammenspiel der verschiedenen Musiker. Interessanterweise hört man bei “Alone Together” tatsächlich, dass hier ein einziger Musiker am Werk ist. Es ist, als hätte Johannes Moser seinen Stil, seine Persönlichkeit vervielfacht. Jede der einzelnen Stimmen enthält seine Prägung, und er konnte damit seine Klangästhetik, und sein über lange Jahre perfektioniertes Können – ja – kopieren und wieder einfügen. Hier klingt das Zusammenspiel wirklich wie aus EINEM Guss.

Alone Together Cover

Johannes Moser gestaltet bedächtig

In Edvard Griegs “Holberg Suite” Op. 40, die Johannes Moser selbst arrangiert hat, ist diese Klangcharakteristik gleich deutlich zu hören. Und es ist beeindruckend, wie sich die Persönlichkeit des Cellisten in Bassstimme, Begleitung und Melodie auffächert. Dadurch entsteht ein sehr bewusster und einheitlicher Vortrag, der die Stimmungen im Werk klar darstellt. Die Liebhaber*innen von Griegs Musik kommen hier voll auf ihre Kosten. Ein wichtiger Aspekt bei Johannes Moser ist aber sein Fokus auf Neue Musik, den ich in der klassischen Musik dieser Zeit für unabdingbar halte. Und so hat er nicht nur die neu beauftragten Stücke auf dem Album, sondern auch “Fratres” von Arvo Pärt, was das bekannteste und am häufigsten gespielte Werk des Komponisten ist. Ich selbst durfte “Fratres” schon oft im Konzert und zu Hause hören, und Johannes Mosers Interpretation hat mich sehr begeistert. Er bringt die schwebende Schönheit dieses Stückes durch den stehenden Bass und die bedächtig gestalteten Melodien so schön zum Vorschein, dass Fans des Cellisten dadurch einen wunderbaren Anknüpfungspunkt zu Pärts Musik bekommen.

Eine Neukomposition die mich sehr begeistert hat ist “Somewhere There Is Something Else” von Ellen Reid. Dabei verwendet Johannes Moser nicht nur neue Spieltechniken, sondern auch technische Hilfsmittel wie Looping und Verzerrung, und erzeugt damit sehr viel Raum und Weite, und führt vor Augen und Ohren, dass Klang und damit Musik nicht nur aus den bekannten Idealen der klassischen Musik kommen muss, sondern dass bewusstes Spiel mit tonalen und geräuschhaften Komponenten unsere Erfahrungswelt erweitern und bereichern kann.

Tonformung und Melodien

Dass Johannes Moser sehr viel Liebe in die Arrangements gesteckt hat hört man auch bei “Song of the Birds” von Pablo Casals, das er nach einem federleichten Beginn mit viel Gefühl und Freude an der Tonformung durch die elegischen Melodien führt, und dabei die Dur-Moll-Wechsel charmant zur emotionalen Gestaltung nutzt. Das wiederkehrende Vogelmotiv spielt Moser interessant in die verschiedenen Stimmen geschichtet. 

Johannes Moser, Foto © Manfred Esser / Haenssler Classic
Johannes Moser, Foto © Manfred Esser / Haenssler Classic

Dieses arbeiten mit Ebenen wird noch weiter geführt in “Meteoros” von Nina Young, einer weiteren Neukomposition, in der verlorene Einzelmelodien im Bass übergehen in sphärische Klänge, die Johannes Moser mit glasigen Strichen erzeugt.

Mit dem “Adagio for Strings” von Samuel Barber hat Moser dann noch ein höchst populäres Werk im Programm, aber auch das konnte mich bei zunächst skeptischem hören vollends überzeugen, durch die Bedächtigkeit und Geduld mit der der Cellist durch das Stück schreitet. Und auch hier nutzt er in seinem eigenen Arrangement die Mehrstimmigkeit einer einzelnen Person als verblüffendes, und berührendes Stilmittel, das durch die äusserst synchronen Intensitätsverläufe sehr schön auf die Zerbrechlichkeit der Musik hinweist.

Johannes Moser hat in “Alone Together” mit einem etwas überraschenden Konzept eine beeindruckende, vielfältige, berührende und anregende Veröffentlichung erschaffen, die allen Freunden und Freundinnen der klassischen Musik sowohl zur Freude als auch zur Inspiration dienen kann. Ausserdem liegt das Album erfreulicherweise in Dolby Atmos vor, wodurch die räumliche Planung des Cellisten noch beeindruckender dargestellt wird.

Die Tracks

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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