Abwechslung tut gut. Auch wenn man sich in einer Situation hübsch eingerichtet hat. Bei mir ist das mit dem Musikkonsum so. CDs kann ich zu Hause nicht mehr abspielen, und den damit verbundenen, räumlichen Aufwand bin ich los. Da fühlt es sich für mich fast anachronistisch an, wenn ich doch mal der CD-Ausgabe einer Veröffentlichung verfalle. Und bei „Weinberg“ vom belgischen Orchester Les Metamorphoses ist das so.
Die Präsentation
Beginnen wir mal mit dem Oberflächlichen. Die CD kommt nicht im guten alten Jewelcase, oder im Digipack. Sie befindet sich in einem kleinen Hardcover-Buch, ja, Buch! Darin die obligatorischen Informationen über Komponist, Werke und Künstler*innen, die hier in vier Sprachen abgedruckt sind. Darüber hinaus findet man aber auch sehr viele, teilweise sehr unterhaltsame und zum Schmunzeln anregende Fotos von der Aufnahme der CD, hübsch auf mattem Papier gedruckt. Soviel zur konsequenten Weiterführung des gesamten Qualitätsanspruchs dieser Veröffentlichung in der äußeren Präsentation.
Im Kern stehen natürlich weitaus wichtigere Aspekte, wie Werkauswahl, Mitwirkende, Darbietung und technische Umsetzung.
Konzertschwerpunkte zum Beispiel in der Elbphilharmonie haben die Musik von Mieczysław Weinberg bekannter gemacht. Ihre bisweilen einfache Schönheit ist fesselnd und berührend, und einige Klassik-Interessierte sind äußerst überrascht, wenn sie den polnischen Komponisten erst jetzt kennenlernen. Das vorliegende Album setzt einen Cello-Schwerpunkt mit dem Cello Concertino op. 43bis und der Fantasie für Cello und Orchester, op. 52. Zur Abrundung folgt als drittes Werk dann noch die Kammersymphonie No. 4, Op. 153. Als Solist fungiert der holländische Cellist Pieter Wispelwey, mit dem das belgische Orchester die “Cello Perspectives” auch in einer Konzertreihe umsetzt.
Les Métamorphoses mit Agilität
Alle Beteiligten haben hier besonderen Klang umgesetzt, und so den insgesamt hohen Qualitätsanspruch auch in musikalischer und technischer Weise erreicht, der dann noch in der Verfügbarkeit der Aufnahme in Dolby Atmos-Qualität gipfelt. Seinen Beitrag leistet vor allem aber das Orchester, das mit einer Mischung aus aktuellen und historischen Instrumenten besetzt ist. Gerade in den letzten Jahren hat das Thema der historischen Aufführungspraxis stark an Präsenz zugenommen, und auch wenn es bei Weinbergs Musik eigentlich nicht darum geht, so haben Les Metamorphoses ihren besonderen Klang scheinbar vom gespielten Werk losgelöst, und ihn nun als eigenständige Qualität verfügbar. Damit dann Weinberg zu spielen betont die vielen jüdischen Referenzen in dieser Musik auf ganz erstaunliche Weise. Durch diese Altersmischung ihrer Instrumente haben die Musiker*innen eine klangliche Bandbreite, mit der sie im zweiten und dritten Satz des Concertino blitzschnell wechseln können von eher klassisch symphonischer Breite zu wildem folkloristischem Tanz. Diesen führen die Orchestermitglieder mit deutlichem Fokus auf die starken und eindrücklichen musikalischen Themen aus, die der Komponist wohl wie viele seiner in Russland lebenden Kollegen auch aus Gründen der Absicherung gegenüber der Staatsmacht kultivierte. Das Orchester gibt durch sein Dynamikspektrum dem Werk zusätzlich viel Tiefe, verzaubert mit den genau im richtigen Maß angedeuteten Sextakkorden, und hat aber bei den schnelleren Tanzpassagen bei weitem genug Agilität zur Verfügung, um so die Widersprüche deutlich darzustellen, mit denen Weinberg selbst leben musste. Wispelwey liegt als Solist mit genug Platz darüber, und gestaltet so wenig er es für nötig hält. Er arbeitet das Concertino nüchtern aus, dichtet nichts dazu, lässt Schmerz und Hoffnungslosigkeit gelten und stehen, wenn es erforderlich ist. Auch die Kadenz im vierten Satz – allegro vivace – präsentiert er unprätentiös, er nimmt sich den Raum nicht komplett, lässt Platz für Sekundärinformation und emotionales Hintergrundrauschen bei den Hörenden. Eine starke und konsequente Entscheidung, mit der er meiner Meinung nach aber Weinbergs Geschichte äusserst gerecht wird.
In der Fantasie setzt sich Wispelweys pragmatisches Vortragskonzept fort, wenn er die vielen an Bohuslav Martinů erinnernden energiegeladenen Cellomelodien zwar mit Verve, aber immer auch mit viel Blick auf das Zusammenspiel mit dem Orchester gestaltet. Selbiges spielt sich dann spätestens in den kraftvollen Walzerabschnitten in den Vordergrund, die von den Musiker*innen mit gerade eben genug Agogik umgesetzt werden.
Einen großen zeitlichen Sprung macht das Album dann zur Kammersymphonie No.4, Weinbergs letzter vollendeter Komposition. Das mit vielen Selbstreferenzen angefüllte Werk offenbart schnell seine späte Entstehungszeit mit vielen moderneren, harmonischen Elementen. Interessanterweise bietet das Orchester auch diese Elemente dar wie aus einem Guss, mit der Spielfreude wie bei einem sehr populärem Werk. Gerade die Streicher lassen im zweiten Satz im allegro molto die Akkordkaskaden butterweich ineinanderfließen, während Jean-Michel Charlier die führende Klarinettenstimme darüber hinwegfliegt wie ein Vogel, und mit attraktiv runder Formantstruktur gut seinen Platz im übrigen Orchesterklang findet. Im dritten Satz – adagio – bezaubert Charlier dann zudem mit märchenhaft-weicher Anblastechnik, während das Orchester einmal im Hintergrund gläsern-fragile Gebilde baut, und ein andermal in Form einzelner Streicher mit der Klarinette in spannenden Dialog tritt.
Ich halte diese Veröffentlichung in allen Punkten für sehr hochwertig und gelungen, und alle Klassikhörenden haben damit eine Platte in der Sammlung, die in Programm, Besetzung und Ausführung alles andere als alltäglich ist. Und auch bei mir behält sie einen festen Platz in meinem nicht vorhandenen CD-Regal.