Wenn man die österreichische Telefonnummer +43 1 21110 1507 wählt, ist am anderen Ende der Leitung prompt der Kammerton a‘ höchstpersönlich dran. Dieser kuriose Service des Bundesamts für Eich- und Vermessungswesen hat sämtlichen technologischen Wandel überlebt und existiert schon so lange, dass man gerüchteweise nicht einmal mehr im zuständigen Amt selbst weiß, seit wann der Kammerton eigentlich ans Telefon geht. Gut möglich, dass er aber ohnehin nicht viele Anrufe bekommt, denn seit Jahrhunderten scheiden sich die Geister, wenn es darum geht, eine gemeinsame Frequenz für den Kammerton festzulegen.
Der Versuch der Vereinheitlichung
Lange Zeit existierte nämlich kein einheitlicher Kammerton, in verschiedenen Ländern bzw. Regionen wurden unterschiedliche Stimmhöhen gewählt. Dabei waren Unterschiede von bis zu vier Halbtönen keine Seltenheit und während in deutschsprachigen Gegenden tendenziell höher eingestimmt wurde, war die Stimmung in Frankreich und England sprichwörtlich im Keller. So wurde beispielsweise in Paris im 18. Jahrhundert auf nur 409 Hertz eingestimmt, Wolfgang Amadeus Mozart soll Historikern zufolge a‘ = 422 Hz bevorzugt haben und bei österreichischen Orchestern dürfte der Stimmton zu jener Zeit durchschnittlich bei 430 Hz bis 435 Hz angesiedelt gewesen sein.
Zu einem Problem wurden diese Unterschiede erst, als der Musikbetrieb zunächst überregionaler und schließlich internationaler wurde. In Frankreich wurde daher 1858 der Kammerton als a‘ = 435 Hz gesetzlich verankert; zwei Jahre danach wurde diese Frequenz auch per kaiserlichem Dekret für die Wiener Oper verordnet. Dort strebte man allerdings schon immer nach Höherem und das a‘ stieg bereits in den 1870er-Jahren auf bis zu 447 Hz. Trotzdem wurden auf der internationalen Stimmtonkonferenz, die 1885 in Wien stattfand, zunächst 435 Hz für den Kammerton festgelegt. 1939 fand eine weitere Stimmtonkonferenz statt, festgelegt wurden dabei die bis heute gültigen 440 Hz – die auch am Telefon des Amts für Eich- und Vermessungswesen zu hören sind.
Das Streben nach Brillanz
Da es sich beim genormten Kammerton jedoch lediglich um eine Empfehlung handelt, werden in der Praxis die 440 Hz häufig überschritten. Das Ziel ist dabei stets, den Klang brillanter wirken zu lassen; einige amerikanische Orchester bevorzugen daher seit den 1960er-Jahren eine Stimmung von 442 Hz, Orchester in Deutschland und Österreich stimmen seit jeher offiziell auf 443 Hz. Inoffiziell liegen die Zahlen jedoch vor allem in Wien deutlich höher: Unter der Leitung von Herbert von Karajan soll etwa auf 445 bis 447 Hz gestimmt worden sein, wobei sich die Stimmung im Laufe eines Konzertabends auf bis zu 450 Hz geschraubt haben dürfte. Während es in sinfonischen Konzerten lediglich eine Geschmacksfrage ist, ob man nun diesen brillanten, mitunter gar scharfen, Klang nun mag oder nicht, stellt ein höherer Kammerton Sängerinnen und Sänger vor beträchtliche Herausforderungen.
Die meisten Komponisten der Vergangenheit dürften für Opern in etwa von einem Kammerton zwischen 420 und 435 Hz ausgegangen sein. Für die Gesangspartien im klassischen Opernrepertoire ergibt sich daher in heutigen Aufführungen ein deutlicher Sprung nach oben; a‘ = 415 Hz liegt beispielsweise einen Halbton unter dem genormten a‘ = 440 Hz. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten, wie zum Beispiel ein früherer Verschleiß der Stimme, bewogen prominente Namen wie Luciano Pavarotti, Joan Sutherland oder Birgit Nilsson 1988 sogar dazu, eine Petition zu unterzeichnen, mit der die italienische Regierung dazu gebracht werden sollte, die von Giuseppe Verdi einst bevorzugten 432 Hz als Kammerton festzulegen. Der Erfolg der Aktion blieb jedoch aus, bis heute wird in den großen Opernhäusern standardmäßig auf 440 Hz und mehr gestimmt. Opernaufführungen mit tieferem Kammerton bleiben eine Rarität – 2010 kam in Baden Baden eine Carmen mit a‘ = 436 Hz zur Aufführung, Teodor Currentzis spielte zwischen 2014 und 2016 Mozarts Da-Ponte-Opern mit seinem Orchester Musica Aeterna und einem internationalen Sängerensemble ein – die Stimmung lag bei a‘ = 430 Hz.
Kammerton – Zurück zu den Wurzeln
Bereits seit einigen Jahrzehnten sind tiefere Kammertöne in Klangkörpern üblich, die sich der historischen Aufführungspraxis zuwenden; die gespielten Instrumente und auch der Stimmton sollen dabei möglichst authentisch sein. Ein Vorreiter dieses Trends war Nikolaus Harnoncourt, der mit seinem 1953 gegründeten Concentus Musicus eine breite Palette an Kammertönen etablierte: 415 Hz für Barockmusik, 430 Hz bei Werken der Wiener Klassik und 440 Hz für Stücke der Romantik; an diesen Richtwerten orientieren sich seither viele Originalklang-Ensembles. Hatte man im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch versucht, den Kammerton zu vereinheitlichen, scheint sich der Trend seit einigen Jahrzehnten nun langsam aber stetig in die entgegengesetzte Richtung zu entwickeln: DEN Kammerton gibt es zwar noch auf dem Papier als genormte Größe, in der Praxis sind allerdings je nach Klangkörper und Aufführungspraxis verschiedene Stimmtöne etabliert.
3 Kommentare
Vielen Dank, sehr schöner Artikel. Nur eine Frage: wie hebt man im Laufe eines Konzertabends die Stimmung? Wurde nach der Pause neu gestimmt und einfach dann höher als vorher? Beim Spielen geht es ja nicht….
Danke für das positive Feedback zu meinem Artikel! Um die Frage zu beantworten: Die Stimmung erhöht sich tatsächlich während des Spielens um ca. ein bis drei Hertz. Die Details dieses Vorgangs können Physiker:innen aber bestimmt besser erklären als ich, die im Physikunterricht gerne mal geschlafen hat 😉
Dass die Stimmung während des Abends etwas angehoben wird, stellt per se kein Problem dar, wenn allerdings bereits von vornherein höher gestimmt wird und die Stimmung dann noch zusätzlich steigt, wird es vor allem für Sänger:innen schnell ungemütlich.
Hallo Isabella, danke für den sehr interessanten Beitrag. Aber was macht das Orchester, wenn ein Klavier mitspiel (gut, das kann man auch aufwändig umstimmen), oder beim Einsatz von Glockenspiel, Xylophon, Marimba etc. oder gar der Konzertorgel im Saal?
Gruß
Jürgen