Einfach Klassik.

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Alois Mühlbachers barocke Billie-Jean-Revolution

Im St. Florian Stift erklingt ein Bass-Ostinato, das selbst nach vier Jahrzehnten noch elektrisiert. Countertenor Alois Mühlbacher transformiert Jacksons „Billie Jean“ mit lässiger Eleganz in eine Barockmusik fürs 21. Jahrhundert. Der eigene Kommentar des 30-jährigen Österreichers dazu: „Es ist super spannend, was so ein Hit mit einem macht, wenn man ihn ernsthaft musiziert“. Die Betonung liegt hier auf „ernsthaft“, denn das neue „Billie Jean“ ist sowohl musikalisch, als auch in seiner Video-Inszenierung eine Ansage an jeden wohlgemeinten Crossover-Klamauk, mit dem die Klassik-Branche um neue Aufmerksamkeit kämpft.

Jackson erschuf 1982 mit gigantischem Budget einen Meilenstein. Alois Mühlbacher und ein handverlesenes Instrumental-Ensemble beweisen, dass Laute und Cembalo der charismatischen Ausstrahlung des Originals nicht nachstehen müssen: Ein neuer, aufrührerischer Barock-Sound klingt nämlich überhaupt nicht nach musealer Verkleidung des einstigen Mega-Hits. Jetzt mutieren die Drum-Machines zu stampfenden Streicherklängen und selten hat man ein Cembalo so fett und markant aufspielen gehört wie hier, auch das kann den einstigen Synthesizer-Sounds locker das Wasser reichen. Ikonisch wird eine Popnummer für die Ewigkeit nicht allein durch den kompositorischen Einfall, sondern mindestens ebenso wie durch eine unverwechselbare klangliche Prägung. Viele gutgemeinte Adaptionen scheitern an dieser Tatsache – nicht so das neue „Billy Jean“ von Alois Mühlbacher. Zugleich könnte auch Vivaldi persönlich dieses Arrangement geschaffen haben – mit einer kunstvollen Gesangs-Kadenz von Mühlbacher als Pendant zum obligatorischen Instrumentalsolo. 

Überhaupt dieser Gesang! Wenn Alois Mühlbachers Stimme den Slogan „Billie Jean is not my lover“ in himmlische Höhen hinaufschraubt, erfüllt sich die Botschaft in geradezu aristokratischer Bravour. Jackson selbst wäre, hätte er vielleicht 250 Jahre früher gelebt, wohl auch ein Opernstar gewesen – das Thema des Songs, wo es um vermeintliche Vaterschaft im Besonderen und große Gefühle im Allgemeinen geht, geht ja auch als barockes Schmerzensdrama in Reinkultur durch.

Vermutlich hätten die großen Barockmeister auch opulente Videos gedreht – hätte es diese großartige Technik schon damals gegeben. Alois Mühlbacher und sein Team holen hier auf jeden Fall alles nach, was visuell und technisch machbar ist für einen fünfeinhalbminütigen Bilderrausch. Der Clip wurde in den Gemäuern des St. Florian Stifts gedreht, das war Mühlbachers prägende Wirkungsstätte als Sängerknabe. Aber dort, wo normalerweise spirituelle Einkehr und sakrale Stille herrscht, geht es jetzt umso befreiter zur Sache in reicher Choreografie. Junge Menschen, zum Teil Kinder und alle in barocken Kostümen, schütteln mit der Musik jede Domestizierung ab, wenn sie durch die ehrwürdigen Hallen wirbeln. Fazit: Der Moonwalk ist auch hinter ehrwürdigen Klostermauern nicht zu bremsen. 

Warum gibt es hier Szenen mit Federbällen und Badminton-Schlägern? „Im Stift spielten hier die Amerikanischen Besatzer nach dem Krieg Tennis“, gab Alois Mühlbacher im Gespräch mit dem SWR zum Besten. Regisseur Pevny befand Tennis dann aber als „zu schwerfällig“ für die Gesamtaussage, zumal mit Alois Mühlbacher eine echte Symbolfigur für künstlerische Leichtigkeit im Zentrum steht. Dann also lieber Badminton.

Mühlbacher, derzeit am Zürcher Opernhaus, ist ständig als fantasievoller Grenzüberschreiter im Einsatz und kuratiert seit letztem Jahr auch ein eigenes Festival. Für „Billie Jean“ holte er das Spring String Quartett ins Boot. Zuvor hat man sich gemeinsam bereits Queens „Bohemian Rhapsody“ zu eigen gemacht. Klar, solche Projekte wirken auch immer als Durchlauferhitzer für mehr Aufmerksamkeit. Aber es geht dem österreichischen Countertenor um viel mehr – siehe oben. Für die nahe Zukunft ist die Veröffentlichung einer EP mit gleich einer Handvoll Pop-Barock-Transformationen geplant.

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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