Der Klarinettist Andreas Ottensamer kommt immer gern in die Elbphilharmonie. Das lässt er sich auch anmerken in herzlicher Zuwendung zum Publikum. Doch auch mit Orchester und Dirigent kann der Solist kongenial und freudig kooperieren.
Mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter Michael Sanderling war am letzen Montag Abend ein besonderer musikalischer Partner für den aus der berühmten Klarinettendynastie stammenden Instrumentalisten angereist. Direkt vor dem Konzert war das älteste Sinfonieorchester der Schweiz mit dem Europäischen Kulturpreis yœurope Award der Europäischen Kulturstiftung PRO EUROPA ausgezeichnet worden und beging im Anschluss den musikalischen Abend mit dem österreichischen Klarinettisten.
Das Luzerner Sinfonieorchester ausgezeichnet
Da sich der Klangkörper aufnahmetechnisch gerade in einem Brahmszyklus befindet lag der Komponist als Themensetzung für den Abend nahe. Das bedeutete für Ottensamer dann aber, dass formal kein Klarinettenkonzert auf dem Programm stand. Im übertragenen Sinn stellt aber die Orchesterfassung von Brahms “Sonate für Klarinette oder Viola und Klavier f-Moll op. 120/1”, die Luciano Berio 1986 erstellt hatte das Klarinettenkonzert dar, das Brahms nie geschrieben hat.
Zuvor aber kam das Stück “Wunde(r) für Orchester” des Schweizer Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini zur Aufführung. Darin beschreibt er simultan die Themen Schmerz und Freude, was der Dirigent mit seinem Ensemble vor allem mit dem Mittel der Kontrolle umsetzte. Mithilfe interessanter Dynamikgestaltung schickte Sanderling die Musiker*innen nicht in die äussersten Lautstärken, sondern hielt die Aufmerksamkeit beim Verlauf durch das Stück. Bratschen und Celli legten darunter einen kompakten Teppich, während das Schlagwerk sehr vielseitig sowohl tonal als auch perkussiv agierte. Zum Ende des Stücks bildete das gesamte Luzerner Sinfonieorchester dann eine ruhig verbundene Einheit.
In enger Nähe zu Dirigent und ersten Geigen war dann in der Folge der Solist Andreas Ottensamer auf der Bühne platziert, und das kam seinem Vortrag sehr entgegen. Er liebt Kontakt, nicht nur zu seinem Instrument, sondern auch zu den Mitwirkenden, aber vor allem zum Publikum.
Die Sonate begann das Luzerner Sinfonieorchester sehr geschlossen und einheitlich, und schaffte es gekonnt den Klarinettisten in der Vordergrund zu stellen. Er blies die Töne allesamt butterweich an, und spielte sehr gefällig. Selbst energiereiche Passagen bekamen Glanz und Süße. Ottensamer ging mit seinem Instrument also nicht an Grenzen und experimentierte kaum, stattdessen hob er mit perfektem Ton die Schönheit der Melodien hervor. Dass er sich höflich und gut gelaunt auch für den Applaus zwischen einzelnen Sätzen bedankte rundetet die angestrebte Aussenwirkung noch weiter ab. Der Solist versteht es in allen Belangen perfekte Konzerterlebnisse zu schaffen.
Das Luzerner Sinfonieorchester bestach derweil mit tänzerisch gezupften Grundtönen in den Bässen, und mit weicher Themenverarbeitung der Geigen und Flöten. Erfreulich unprätentiös begleitete und trug das Orchester Ottensamer durch die vielen jovial hervorbrechenden Stakkatomelodien, und gestaltete dann ein eher nüchternes Ende des Werkes.
Nach der Zugabe des “Venetianisches Gondelliedes” von Felix Mendelssohn Bartholdy in seiner eigenen Bearbeitung beendete Andreas Ottensamer sein hochprofessionelles Gastspiel in der Elbphilharmonie.
Geradlinig und aufrecht
Nach der Pause griff das Luzerner Sinfonieorchester in die erwähnte aktuelle Zykluskiste und zog Brahms 4. Sinfonie heraus. Michael Sanderling forderte und gestaltete, und er bekam von den Musiker*innen packenden Zugriff auf viele Themeneinsätze im ersten Satz, die bei anderen Darbietungen durchaus schwerfälliger geraten. Konsequent weitergehend eliminierte Sanderling mit seinem Orchester jegliche, bei diesem Werk oft gehörte symphonische Schwere und wurde in der Dynamikgestaltung nie überbordend weitgreifend. Der Vortrag war damit eher geradlinig und aufrecht, an vielen Stellen aber auch sehr nüchtern. Das wurde nur ab und zu durchbrochen von sehr narrativ agierenden Klarinetten, oder von träumerisch gehaltenen Einschwingphasen der Violinen.
Die vier Hörner traten gut als Block auf und präsentierten die vielen stützenden Melodien im zweiten Satz sehr einig. Nur manchmal verloren sie dabei leicht den Fokus auf die interpretatorische Zielsetzung und wirkten etwas diffus.
Im populären vierten Satz gefiel mir wieder sehr Sanderlings Kontrollansatz, dem Orchester eine feste interpretatorische Bandbreite zu geben, und damit etwas zu begrenzen. Die vielen verschiedenen und vielfältigen Ereignisse dieses Satzes standen jedoch manchmal zu sehr nebeneinander, anstatt in einem globaleren Kontext sinnhaft verbunden zu werden.
Mit dem kraftvollen aber wieder angenehm balancierten Schluss und einer Zugabe beendete das Luzerner Sinfonieorchester dann einen kurzweiligen und erfrischend vielseitigen Konzertabend.