Einfach Klassik.

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„Baltischer Winter“ in Stralsund

Ein Artikel von Ekkehard Ochs

Auch wenn selten davon die Rede ist und mancher Musikfreund erstaunt sein dürfte: Es gibt sie, die Brahmsgesellschaft in Stralsund. Und das seit 2007 mit einer Satzung, die sich ehrgeizige Ziele hinsichtlich der Förderung von Kunst, Kultur, Bildung und Denkmalschutz auf die Fahne geschrieben hatte und dies mit Ausstellungen, Instrumentalkursen und Qualifizierungsmaßnahmen von Laienmusikern und Hochschulstudenten zu realisieren gedachte. Da waren im Laufe der Zeit wohl Anpassungen an sich verändernde Verhältnisse unumgänglich. Sichtbarer Ausdruck ihres Wirkens aber blieb der „Baltische Winter“, eine Veranstaltung, die nunmehr zum 15. Male stattfand. Dies in (erneuter, bereits  längerer) Kooperation mit der Deutsch-Finnischen Gesellschaft MV, dem Theater Vorpommern und der SOS-Dorfgemeinschaft Grimmen-Hohenwieden. Im Angebot waren vier Veranstaltungen: der seit vielen Jahren das Ganze prägende einwöchige Meisterkurs für die Viola (3. – 8. 2.) , zwei Ergebniskonzerte  in Hohenwieden (7. 2.) und Stralsund (8. 2.) sowie ein Kammerkonzert mit dem finnischen Streichtrio NOX in Stralsund (14. 2.).  

Für den stets gut gebuchten Meisterkurs ist langjährig der Weimarer Hochschulprofessor Erich Wolfgang Krüger verantwortlich, dem sich mit Prof. Florian Richter von der gleichen Hochschule „Franz Liszt“ im vergangenen Jahr der künftige Nachfolger zugesellte. 2025 also noch einmal eine professorale Doppelspitze, die den 17 Kursteilnehmern erneut bestens gefallen haben dürfte! Zumindest lassen die gezeigten Leistungen einen solchen Schluss zu! Und wer diese Kurse über eine längere Zeit beobachten konnte, der weiß auch, dass ein mit so offensichtlicher wie ergebnisreicher Leidenschaft agierender Lehrer wie Prof. Krüger zu außerordentlicher Leistung geradezu zwangsläufig zu motivieren vermag; Prof. Richter – zeitweilig Schüler auch Prof. Krügers – scheint dem nicht nachzustehen. 

Baltischer Winter in Stralsund
Baltischer Winter in Stralsund

In Foyer des Stralsunder Theaters präsentierten und moderierten beide das hier in Rede stehende Werkstattkonzert am Ende des Kurses. Wie in den Vorjahren vor wieder begeistertem Publikum, das mit dem Bonus für künstlerisch schon recht beeindruckende Leistungen meist recht Jugendlicher nicht geizte. Wie auch nicht, wenn die Altersstruktur zwischen einem 15jährigen Schüler und jungem Profi liegt, zwischen den Standards eines Franz Anton Hoffmeister und Bela Bartok Raum für eine stilistisch denkbar breite Angebotspalette gegeben ist und für den Hörer das durchaus auch unterhaltsame Vergnügen ermöglicht wird, junge, noch nicht „festgelegte“ Künstler auf den ersten Schritten eines möglicherweise solistischen Berufsweges zu erleben. 

Auch im gegebenen Fall ermöglichten solche Konstellationen Einsichten unterschiedlichster Art. Eines aber verband die neun vorgestellten Darbietungen auf eindrückliche Weise: offensiv ausgelebte Erlebnisfähigkeit und Gestaltungsvielfalt. Pfunde also, mit denen – natürliche, graduelle Unterschiede eingeschlossen – künftig gut wuchern sein dürfte. Das reichte vom D-Dur-Konzert Hoffmeisters (1. Satz, Caroline Zaunick, 8. Sem.) über J. S. Bach (2. Gambensonate, 2. und 3. Satz, Magdalena Arantes, Schülerin), Michail Glinkas Sonate (2. Satz, Elisabeth von Rhein, 1. Sem.) und Max Bruch (Kol Nidre, arr. für Viola, Marlene Ju, 3. Sem.) bis zu Henri Vieuxtempes „Elegie“ (Jakob Rau, 15jährig). Überall eine gute technische Durcharbeitung, sichtliches persönliches Engagement und gestalterisch schon manch Zwingendes hinsichtlich Tongebung, Artikulation, Empfindsamkeit, Ausdrucksintensität und musikantischer Stringenz. Erfahrene Lehrer ließen grüßen! Ausgeprägt konnte das dann auch bei der Sonate von Arnold Bax (Hanna Maria Bormuth, 6. Sem.), dem „Pensieroso appassionata“ von Frank Bridge (Paula Elsner, Schülerin, 13. Klasse), dem 1. Satz der Viola-Sonate Dmitri Schostakowitschs (Amelie Agnes, Schülerin, 12. Klasse) und Bartoks Viola-Konzert (1. Satz, Hyunmin Oh, Absolventin) demonstriert werden. Dies alles mit schöner Ungezwungenheit, mit Gefühl für den intensiven, leidenschaftlichen Streicherton, Freude an dynamischer Vielfalt, an kontrastreicher Deklamatorik und musikantischem Schwung.

Was aber wäre dies alles ohne Ludmilla Kogan (Weimar). Sie leistete als begleitende Pianistin Schwerstarbeit in einem Programm, das für den Korrepetitor hohe künstlerische Ansprüche zur verbindlichen Voraussetzung macht. Dafür erntete sie sehr zu Recht besonderen Beifall. 

Baltischer Winter in Stralsund
Baltischer Winter in Stralsund

Ein schöner Abend, ein anregender Abend. Da kann man den Wünschen der beiden Professoren nur zustimmen: Das Projekt sei doch bitte unbedingt fortzuführen. Dieser Bitte dürfte hier niemand widersprechen wollen!

Historisch das Ambiente, eher zeitgemäß das Programm: Eingeladen wurde Tage später dann noch zu einem Konzert mit dem finnischen Streichtrio NOX. Ungewöhnlich der Ort: die langgestreckte Diele eines restaurierten, gar eindrucksvoll bauliche Geschichte zeigenden und Historie atmenden, 1730 auf weitaus älterem gotischen Gemäuer errichteten Hauses im historischen Zentrum der Weltkulturerbe-Stadt Stralsund. Die Neugier war entsprechend groß, ebenso das Gedränge. Und die Musik? Mit Aino Rautakorpi (Violine), Helena Dumell (Viola) und Annika Furstenberg (Violoncello) präsentierten drei ehemalige Musikhochschulabsolventinnen aus Helsinki ein Programm, das in dieser Form eher nicht erwartbar war. Verwunderlich natürlich nicht, dass man musikalisch in Skandinavien, vor allem aber in Finnland blieb. Allerdings ließ die nahezu ausschließliche Fokussierung auf viele meist kleinformatig, teils recht kurze Stücke mit entweder bewusstem Bezug auf variabel, ab und an auch humorig Folkloristisches (zweiter Konzertteil) oder auf  „Bildliches“, Gegenständliches“, und dann zumeist Filmisches ein wenig erstaunen. Ern Hulkkonens Album „Origin“, Svavar Austmann Traustasons „Voyage“ und Gustav Nyströms Göttinnen-Trilogie „Athena“, „Afrodite“ und „Eris“ mögen hier für manches andere stehen. Insgesamt ergab das Programm eine vielgliedrige und recht bunte Folge minimaler „Klangbilder“; weniger dort, wo etwa im Folkloristischen Thematisches vorgegeben war, deutlicher aber in jenen Stücken, die irgend etwas zu „beschreiben“ suchten. Da stellte sich relativ schnell die Frage nach den Absichten von Musik und Interpretationen. Vielleicht auch mit dem Verweis auf den Namen des Trios: denn NOX bezieht sich auf die antike Göttin der Nacht, der Ruhe, der Dunkelheit, auf Schlaf, Träume, gar Tod. Darauf könnte auch jener Verweis im Programamheft zielen, der den Musizierstil des Ensembles mit „psychedelisch“ bezeichnet. Wie dem auch sei –  so recht konnte Rezensent weder das eine noch das andere in der gebotenen Musik unterbringen. Zumal die Realisierung (lediglich) durch ein Streichtrio einigermaßen kühn, zumindest aber sehr ambitioniert erscheinen musste.

Baltischer Winter in Stralsund
Baltischer Winter in Stralsund

Vorherrschend und weitgehend unabhängig vom jeweiligen Komponisten blieb eine durchgängig traditionelle, nur selten Aspekte zeitgenössischer Musik einbeziehende Klangsprache. Sie bereitete keinerlei Hörprobleme und empfahl sich als angenehm, als gefällig – was im Saal gern honoriert wurde – kannte aber weder Kontraste noch irgendwelche formalen, harmonischen oder rhythmisch melodischen „Auffälligkeiten“. Natürlich hörte man dem ansonsten makellos agierenden Trio gern zu, auch wenn echte Neugier auf jeweils Kommendes zu wenig Befriedigung fand. Es sei denn, man ließe sich bewusst auf eine konfliktlose, das Prinzip häufiger Motiv-Wiederholungen ausreizende, gern auch melancholische, in den Tempi meist moderate und auf Spannungen weitestgehend verzichtende Musiksprache ein; die hier wohl (bewusst?) nur begrenzt genutzte und  greifbar „Atmosphärisches“ (Programme, Filmmusiken) nur bedingt ermöglichende Trio-Besetzung inbegriffen. 

Aber als Hörvergnügen ist da wohl Vieles doch angekommen. Der kräftige Beifall für die sympathischen Gäste passte da schon. 

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