Ein Gastbeitrag von Christina v. Richthofen
El Masnou, 5. März 2023. In dem kleinen Vorort von Barcelona ist es kalt und windig, aber die Sonne scheint. Sommertouristen kann man sich hier gut vorstellen. Alle paar Meter ist eine Bar am Strand – ein Kulturzentrum will aber irgendwie nicht so recht ins Bild passen. Und doch gibt es eins: Einige Straßenzüge von der Uferpromenade entfernt liegt das „Centro de Participación Juvenil“, das neben anderen Aktivitäten auch ein breites Kulturangebot für Familien bereit hält.
Im großen Saal spielt an diesem Tag ein sechsköpfiges Ensemble, das aus den beiden Schauspieler*innen Cristina Aguirre und Claudio Levati sowie vier Musiker*innen aus Leipzig und Barcelona besteht. Das Ensemble ist noch jung und die Frucht einer künstlerischen Kooperation beim Kölner Fest für Alte Musik im Jahr 2017. Da nämlich hatte Multitalent Adrian Schvarzstein mit seiner Theatergruppe KAMCHATKA aus Barcelona und einem Ensemble aus Alte Musik Spezialist*innen aus Deutschland das interaktive und außergewöhnliche Musik-Straßentheater FUGIT inszeniert und aufgeführt. Eine imaginäre Fluchtgeschichte, die das Publikum durch einen Kölner Szene-Stadtteil führte, und dabei, fast klammheimlich, zauberhafte Stücke aus der Barockzeit präsentierte. Im Hinterhof, hinter Mülltonnen und Mauern, im U-Bahnhof, in Treppenhäusern.
So etwas Fantasievolles müsste man für Kinder auch entwickeln, dachte sich Nora Hansen, Fagottistin und Mitglied im eigens für FUGIT zusammengestellten Instrumentalensemble, das zwei Jahre hintereinander in Köln mit KAMCHATKA auftrat. Gemeinsam mit Claudio Levati und Cristina Aguirre begann sie, Ideen zu sammeln und während eines Zeitraums von fast zwei Jahren wuchs aus den Ideen das Drehbuch zu einem Bühnenstück: Barrocomatik, ein „Clowneskes Musiktheater“. Als das Drehbuch fertig war und die Produktionskosten überschlagen – verbunden mit der Frage, wie man das wohl alles am besten finanzieren könnte – kam der erste Lockdown. Das war Anfang 2020 und die Kulturszene stand still.
Barrocomatik bekommt Kulturunterstützung
Für Nora, Claudio und Cristina, die Initiatoren von Barrocomatik, war die Unterstützung der Kulturszene während der Coronazeit ein echter Segen. Durch das Rettungsprogramm Neustart Kultur konnten die kompletten Produktionskosten von Barrocomatik finanziert werden, Kostüme und Bühnenbild wurden erstellt, zusammen mit Regisseurin Anna Ros wurde an der Inszenierung gearbeitet und musikalisch geprobt. Ausgewählt hat Nora Hansen Stücke von u.a. Telemann (ein Satz aus einem Concerto für Flöte, Oboe und Violine), Rebel, Vivaldi (La Follia!) Bach und Couperin. Auch „Ay Macarena“ von Los del Rio und „Smoke on the Water“ von Deep Purple finden in Barrocomatik Platz.In der Schlussszene erklingt die Ciaconna von Falconieri.
Jetzt galt es nur noch, Barrocomatik als fertige Produktion an Veranstalter zu verkaufen. Wie gut das diesem Ensemble gelang, ist beeindruckend und eine Blaupause für Projektförderung im Kulturbereich. In mittlerweile 32 Aufführungen in Deutschland und Spanien hat das Stück, das völlig ohne gesprochenes Wort auskommt und Barockmusik auf liebevolle Art vermittelt, ein junges und begeistertes Publikum erreicht. Geholfen hat dabei auch das spanische Caixaforum, das die Produktion gleich für fünf seiner Standorte gebucht hat.
Die Geschichte erzählt von einem Ingenieur (pantomimisch grandios gespielt von Claudio Levati), der sich in eine Welt voller Maschinen geflüchtet hat und sich wahren Gefühlen nicht stellen kann. Mithilfe einer Fernbedienung steuert er seine Roboter, schaltet die Musik an und aus und erlebt sich selbst als mächtig schlau. Doch die von ihm geschaffene Puppe (Cristina Aguirre als bezaubernde Darstellerin im Barockkostüm) wird plötzlich und unerwartet mit heftigem Getöse auf der Bühne zum Mensch und streift ihr Korsett ab. Der Ingenieur verfällt in Panik und alles scheint aus den Fugen zu geraten. Nach einer poetischen Verwandlung der Figuren und mithilfe musikalischer Impulse nähern sie die beiden Protagonisten sich vorsichtig an.
Nicht nur Kinderherzen schlagen höher
Im Sinne der Handlung spielt das Ensemble (Nora Hansen – Musikalische Leitung, Fagott und Blockflöten, Katy Elkin – Oboe und Blockflöten, Angela Moro – Violine, Edwin Garcia Gonzalez – Theorbe und Gitarre) zunächst ein wenig mechanisch, doch im Verlauf des Stücks immer weicher und akzentuierter. Die vier Musiker*innen sind die Figuren in einer überdimensionalen barocken Spieluhr, deren detaillierte Ausarbeitung begeistert. So wie überhaupt jede Bewegung auf der Bühne überzeugt. Handlung und Musik werden ideal miteinander verwoben und Poesie und Humor lassen nicht nur Kinderherzen höher schlagen.
Ganz sicher sind es auch die vielen erwachsenen Begleitpersonen, denen das barocke Spektakel auf der Bühne neue musikalische Welten erschließt. Barrocomatik geht im Herbst 2023 auf Reisen in die Schweiz und nach Valencia und ist ein echter Tipp für Musikveranstalter in ganz Europa.
