Einfach Klassik.

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Beethovens Botschaft aus dem Tiflis Auditorium

Das Konzert am 20. Juni 2025 in dem Tiflis Auditorium war auf den ersten Blick ein würdiger Abschluss der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Doch der Abend offenbarte eine tiefere Dimension: Hier wurde Musik zur politischen Mission, kulturelle Diplomatie zur Überlebensstrategie. Keine EU-Fahnen, kein Pomp, kein Protokoll. Als Paweł Kotla den Taktstock hebt, ging es um mehr als das offizielle Ende der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Es ging ums Überleben der Kultur. Und auch um die Zukunft eines freien Georgiens, welches die EU-Mitgliedschaft anstrebt. Um die Frage, wer die besseren Geschichten erzählt – Putin oder Europa. Der polnische Dirigent hat eine Mission. Seit Monaten konzertiert er in den Hallen der Krisengebiete, in denen die Kultur nicht verstummt ist und sammelt Geschichten von Menschen, die um ihre Freiheit kämpfen. Sein Instrument an diesem Abend im Tiflis Auditorium ist das Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra. 40 Musikerinnen und Musiker, die meisten unter 25, geboren in die Unabhängigkeit hinein und aufgewachsen mit europäischen Träumen. Gespräche während meines kurzen Aufenthalts in Georgien mit vielen Menschen sind wie eine Primärquelle für die gegenwärtige Stimmung: Jenseits der generösen Freundlichkeit und lässigen Lebensfreude, die einen überall hier umgibt, ist auch viel Panik in den Köpfen, dass möglicherweise bald Schluss mit lustig ist. In der aktuellen Regierung regieren bereits russische Oligarchen mit. Georgia first? Von wegen. Russia first ist das aktuelle Damoklesschwert.

Große Gefühle mit sparsamen Mitteln im Tiflis Auditorium

Das Tiflis Auditorium ist ein organischer Bau mit perfekter Akustik auf allen Plätzen – und ja, diese Offenheit wird zum Symbol, um die Musik so frei wie möglich zu den Menschen zu tragen. Henryk Mikołaj Góreckis „Three Pieces in Old Style“ wirkte zu Beginn des Konzertes wie eine sanfte Rebellion gegen die Lautstärke der Macht. Der polnische Komponist wusste, wie man mit sparsamen Mitteln große Gefühle erzeugt. Góreckis Stück mit seinen atmenden Texturen, diese zarten, reibungsvollen Dissonanzharmonien, subtile Wechselbäder aus Kontemplation und expressiver Dringlichkeit – all das klingt in diesem Moment wie das Gegenteil einer strategischen, misstrauischen Kulturpolitik, die aus Russland kommt.

Abschlusskonzert der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in Tiflis, Foto © Stefan Pieper
Abschlusskonzert der polnischen EU-Ratspräsidentschaft in Tiflis, Foto © Stefan Pieper

Dann ein Werk von Krzysztof Meyer, ein Schüler Schostakowitschs und auch Pendereckis, der aber im freien Deutschland lebt. Seine „Musica Concertante“ op. 130 entwickelt eine chromatische Sprache voll rhythmischer Finessen, polyphoner Textur und manchmal bedrängender Ausdrucksdichte. Vier Sätze zwischen Ruhe und Raserei, zwischen Trauer und Aufbruch. Manchmal klingt es wie ein Update des sowjetischen Meisters, dann wieder ganz anders und heute ohne Angst vor dem Geheimdienst. Die Solisten des Cracow Duo – Jan Kalinowski (Violoncello) und Marek Szlezer (Klavier) – navigierten mit zupackender Spiellust in hitziger Interaktion durch die anspruchsvolle Partitur. Das ist Polen nach 1989 in Tönen.

Ein Werk über verratene Ideale

Den Höhepunkt des Abends bildete Beethoven und zwar seine Symphonie Nr. 3 „Eroica“, ursprünglich für Napoleon komponiert, bis der sich zum Kaiser krönte und Beethoven daraufhin die Widmung tilgte. Pawel Kotla sieht darin ein Werk über verratene Ideale und damit eine perfekte Wahl für die drohende Situation in Georgien im Jahr 2025. Aber diese Musik stärkt und setzt pure Freude der Furcht entgegen. Das steht auch Kotla selbst ins Gesicht geschrieben, der die jungen Georgierinnen und Georgier spielen lässt, als würde es um ihr Leben und die ganze Zukunft gehen. Was es auch tut.

Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra, Foto © Stefan Pieper
Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra, Foto © Stefan Pieper

Seit 2011 hat Paweł Kotla junge Musikerinnen und Musiker aus der Region zusammengebracht. Ausgiebige Gespräche mit Pawel Kotla vor und nach dem Konzert machten die Intention dahinter deutlich. Das Projekt „Concerts for Freedom and Solidarity“, getragen von der Temida Arts & Business Foundation und dem polnischen Außenministerium, positioniert sich bewusst als Gegenmodell zu autoritären Kulturstrategien. Während despotische Regime die Kultur oft als strategisches Instrument hybrider Kriegsführung einsetzen, setzt Polen mit dem kulturellen Fokus seiner EU-Ratspräsidentenschaft auf Authentizität und Partnerschaft auf Augenhöhe. Bereits 2011 führte Kotla während der damaligen polnischen EU-Ratspräsidentschaft junge Musiker aus östlichen Partnerländern zusammen. Vierzehn Jahre später haben solche kulturpolitischen Statements eine andere Tonart unter dramatisch veränderten Vorzeichen.

Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra, Foto © Stefan Pieper
Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra, Foto © Stefan Pieper

Im Giya Kancheli Orchestra musizierten an diesem Abend im Tiflis Auditorium junge Menschen, die Europa nicht als politisches Projekt sehen, sondern als Lebensgefühl. Und die eben, was hörbar war und schließlich langanhaltenden warmen Applaus hervorrief, Beethoven so spielten, als würden sie gerade ihre Zukunft komponieren.

Titelfoto © Stefan Pieper

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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