Einfach Klassik.

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Besondere Konzerte auf Usedom. Meisterkurs mit David Geringas.

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Man darf es eine Überraschung nennen: den Auftritt des finnischen Ensembles GAMUT beim Usedomer Musikfestival, das in der Kirche zu Benz  – Lionel Feiniger hat sie einst zeichnerisch festgehalten! – seine Performance FLOS (Blume) präsentierte. Fünf Mitwirkende äußerten sich textlich, vokal, instrumental, elektroakustisch und zeichnerisch zu einem Thema, das bedrohte arktische Pflanzen in den Mittelpunkt stellte. Dies teils auf der Basis mittelalterlicher Texte und Musik, aber auch in Eigenarrangements und Eigenkompositionen, nicht selten wohl auch improvisiert und durchweg auf „altem“, auch folkloristischem Instrumentarium. Ungewöhnliche Zutaten: der Einsatz elektronischer Mittel und ein siebzigminütiges – dies die Konzertdauer – zeitgleiches Live-Zeichnen einer großformatigen, etwa quadratmetergroßen, vorwiegend weißen, sehr filigranen (Fantasie)Pflanze auf schwarzem Untergrund (Tafel). Das bedeutete: eine Menge ungewöhnlicher Informationen, die so richtig einzuordnen und aufzuarbeiten erst nach dem Konzert möglich schien. Das Programmheft war ungewöhnlich dick, bot viele Texte in einführender und dichterischer Form. Es ging um Hildegard von Bingen, Birgitta Birgersdotter, die schwedische Heilige Brigitta, das mittelalterliche „Stabat mater dolorosa“, finnische Folklore und – in der Mehrzahl – um Texte (Dichtungen!) der Künstlerischen Leiterin und Sängerin des Ensembles, Aino Peltomaa. Der behandelte Themenkreis war breit. Er reichte von der die Liebe besingenden Psalm-Antiphon „Karitas habundat“ oder der ekstatisch Natur und Himmel besingend „ viridissima virga“ (von Bingen) über ein „Sicut spinarum“, das die Rose mit der Jungfrau Maria in Beziehung setzt (Heilige Brigitta) sowie genannte Sequenz „Stabat mater dolorosa“ bis zu schamanischen Beschwörungsformeln (altfinnisch), die hypnotische Wirkung bestimmter Pflanzen, bis zu Natur und Leben  preisenden Aussagen (vorrangig Peltomaa). 

Ensemble Gamut, Foto © Geert Maciejewski
Ensemble Gamut, Foto © Geert Maciejewski

Im Übrigen waren alle (drei) Instrumentalisten als Sänger einbezogen, vorrangig allerdings Aino Peltomaa mit bildschöner, klarer und sehr variabel eingesetzter Sopranstimme. Im Instrumentalen waren ebenfalls alle beteiligt, aber hier mit Spezialisierungen: Ilka Heinonen, ein  bekannter Joik-Sänger, mit der finnisch/karelisch/baltischen Streichleier (Jouhikko), Juho Myllylä mit diversen, vom Sopranino bis zum Bass reichenden Blockflötenarten, Tuomas Norvio als „Klangkünstler“ am elektronischen Mischpult. Seine unüberhörbare, aber meist dezent eingesetzte Tätigkeit bezog sich allgemein auf klangliche Unterstützungen , nicht ohne im akustischen Umsetzen unterschiedlichster Bewegungen der Zeichnerin Selbständigkeit einzufordern. Gelegentlich griff auch die Sopranistin zu Kantele, ließ diverse Glöckchen erklingen, handhabte die Harfe oder die dunkel-sanft klingende Trommel. 

Lebhaftes Agieren

Musikalisch bot der Abend durchweg mittelalterliche Klangbilder, wobei Originales und Arrangements (Peltomaa, Gruppe) nicht zu unterscheiden waren. Charakeristisch jeweils Bordunfunktionen (Streichleier), aber auch deren lebhaftes, spielerisches Agieren, das häufiger auch für die Flöten galt. Kurzgliedrige Motivik und deren häufiges Wiederholen sorgten für eine Atmosphäre, die über weite Strecken große Ruhe auszustrahlen vermochte, gar meditative Akzente setzte, aber gelegentlich auch zu voluminöser Klanglichkeit auftrumpfte. Typisch auch diverse melismatische Passagen im Sopran und der vorherrschende Eindruck modal geprägten Musizierens; von anscheinend auch  improvisatorisch angelegten Teilen war oben schon die Rede. Dem Eindruck gewissen stilistischen Gleichmaßes konnte man als Hörer begegnen, indem besonders genau auf Instrumentierung und vokale Gestaltung geachtet wurde. Da gab es Unterschiedlichkeiten, die allerdings den musikhistorisch informierten Rezipienten im Vorteil beließen; wenn nicht, wie im „Beschwörungsteil“, der Charakter kultisch stampfender „Sprache“ ohnehin offensichtlich war oder das „Wiegenlied für die grünliche Waldhyazinthe“ entsprechend lyrisch verhalten ausfiel. 

Nach rund 70 Minuten war die musikalisch charakterisierte Wanderung durch Finnlands bedrohte arktische Pflanzenwelt beendet. Ein anregender, natürlich höchst professionell präsentierter Abend, der mit einigen substantiell wichtigen, weil über den jeweiligen konkreten Gegenstand weit ins Allgemeine hinausreichenden „Botschaften“ schon punkten konnte. Oder wie es Aino Peltomaa als Wunsch formulierte: „Lassen wir uns weiter von der Liebe tragen und vom Wunder des Lebens berühren und verzaubern.“  

Ensemble Gamut, Foto © Geert Maciejewski
Ensemble Gamut, Foto © Geert Maciejewski

Handfester und traditioneller geriet das Bild einen Tag später. Geladen war zu einer jährlich schon fest eingeplanten Veranstaltung: jenem Konzert, das die Teilnehmer eines Cello-Meisterkurses präsentierten, für den seit Beginn vor vielen Jahren David Geringas verantwortlich zeichnet. Die stets freudigen wie hohen Erwartungen, die man an das Musizieren junger, teils gar sehr junger Interpreten knüpft, wurden auch diesmal nicht enttäuscht. Acht Kursanten hatten sich angemeldet, ihrer sieben ließen sich am 29. September im Schloss Stolpe hören – der achte befand sich schon auf einer Reise zu einem Konzert! Wie jung auch immer: alle haben bereits eine beachtliche, von erstklassigen Lehrkräften an berühmten Hochschulen, von Wettbewerben und Preisen bestimmte Entwicklung hinter sich. Was denn auch sehr ohrenfällig zu beweisen war. Das Programm: vielfältig wie immer und die Interpretationen durchgehend bestimmt von nicht selten ansteckender Musizierfreude. Wichtiger und auch hier rechtens zu generalisieren: kein Kursant ohne individuell allerdings unterschiedlich ausgeprägtes Gefühl für das Instrument und sein Repertoire. Erfreuliches, teils auch Erstaunliches allenthalben! So musste man keine Glaskugel befragen, um einigermaßen sicher zu sein, einer Charlotte Melkonian aus Armenien (Jahrgang 2013), der in Karlsruhe geborenen Jana Bojanowski (Jahrgang 2010) oder Mari Hakobyan (Armenien, Jahrgang 2009) auf dann höherer Ebene wieder zu begegnen. Erstere verblüffte mit umwerfend musizierten Stücken von Sibelius und Tschaikowski, Letztere mit nicht minder überzeugend mit den „Rokoko-Variationen“ des großen Russen. Und Haydns C-Dur-Cellokonzert (1. Satz) muss man auch erst mal so souverän spielen, wie es Jana Bojanowski vermochte! 

Meisterkurs mit David Geringas

Gleiches galt für Maria Sokolova aus Moskau (Jahrgang 2010), die mit Beethovens A-Dur-Sonate op. 69 (1. Satz) einen starken Eindruck hinterließ, aber auch für Franziska Griese (Deutschland), die bereits seit längerem an Karlsruhes Musikhochschule studiert ( Sätze aus Brittens schwierig zu gestaltender Suite Nr. 1 op. 72). Die Ehre der Herren retteten der Italiener Lorenzo Lomatire und der Deutsche Ruben Meiller, beides Hochschulstudenten und mit Kalevi Ahos Solostück IV (Lomatire) beziehungsweise Schuberts „Arpeggione“-Sonate D 821 (Meiller, Ausschnitt) ebenfalls schon auf der Höhe sehr souveränen Musizierens.

Cello Meisterkurs, Foto © Geert Maciejewski
Cello Meisterkurs, Foto © Geert Maciejewski

Dies wäre nun die Stelle, an der die pianistische Schwerstarbeit von Tamami Toda-Schwarz würdigend zu erwähnen wäre. Sie hat die gesamte Kurs-Woche auf dem Flügel begleitet und den Abschluss mitgestaltet. Und das seit vielen Jahren! In bester Zusammenarbeit mit David Geringas, dem der Stolz darüber schon anzumerken war, mit solchen Talenten arbeiten zu können.  

Übrigens: Die besondere Würze im vorabendlichen Programm (und ohne Klavier): Bertold Hummels (1925-2002) Andante religioso für 4 Violoncelli sowie sein Tango für 2 Violoncelli – ein Gedenken an seinen 100. Geburtstag – sowie Mozarts Alla Turca, von Fazil Say jazzig für 6 Celli bearbeitet. Beschwingter Ausklang eines im besten Sinne unterhaltsamen Konzertes beim Usedomer Musikfestival.

Titelfoto © Geert Maciejewski

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