Es war die dritte Ausgabe der „BIENAL DE CUARTETOS DE BARCELONA“, innerhalb derer die Crème de la Crème der internationalen Streichquartett-Szene im Auditorium von Barcelona zu Gast war. Vom 20. bis 24. November 2024 bot die Biennale insgesamt zehn Konzerte. Mutige Kuratoren haben ein Gesamtprogramm gewagt, das weit über das gängige Streichquartett-Repertoire hinaus ging und zu außergewöhnlichen Hörerlebnissen führte. Die Ankündigung von Uraufführungen, Dunkelkonzerten, Musik von Webern, Schönberg, Alban Berg, Lisa Streich und weiteren zeitgenössischen Komponist:innen ließ vermuten, dass hier ein interessiertes Publikum vorhanden ist, das neue kammermusikalische Erfahrungen machen und sich auf Experimente einlassen will.
In den vier Konzerten, die ich besucht habe, hat sich diese Vermutung bestätigt. Hochkonzentriert verfolgten zahlreiche Besucher:innen aller Altersstufen die gut einstündigen Aufführungen mit dem Cosmos Quartett, dem Apollon Musagète Quartett, dem Quatuor Diotima und dem Jack Quartett.
Ein sehr schlüssiges Programm hatte das in Barcelona gegründete Cosmos Quartett zusammengestellt. Auf die in Köln entstandene und 2017 uraufgeführte Komposition „algo sobre un cuerpo“ der Katalanin Helena Cánovas Parés folgte passgenau Anton Weberns Streichquartett op. 28. Den folgenden Brahms und dessen Streichquartett Nr. 2 op. 51 nahm das Ensemble mit respektvoller Weichheit und im Ausdruck nie überladener Energie.
Elektrisierend war die Spannung im Saal während der Darbietung des Apollon Musagète Quartetts, das mit Szymanowskis erstem, Pendereckis drittem und Dvoráks neuntem Streichquartett seinem osteuropäischen Schwerpunkt treu blieb. Mit eindrucksvoller Intensität formt Primarius Paweł Zalejski Szymanowskis musikalische Themen zu nicht enden wollenden Linien, ohne seine Quartettpartner dabei zu verdrängen. Wie einen intelligenten Dialog im besten Sinne interpretierte Apollon Musagète Pendereckis „Leaves of an unwritten diary“ und hielt mit aufregenden Dynamikwechseln die kriminalistisch anmutende Spannung auf höchstem Level. Dvoràks intimes Streichquartett Nr. 9 atmete in der Interpretation des polnischen Ensembles Schwermut, ohne aufdringlich zu sein – Klangkultur der Extraklasse!
Das Quatuor Diotima bestach mit makellosem Spiel und startete sein Konzert mit einer begeisternden Uraufführung. „El tiempo de las almejas“ (Die Zeit der Muscheln) des katalanischen Komponisten José Río-Pareja ist eine Auftragskomposition des Auditorio de Barcelona. Formal an das klassische Streichquartett mit vier Sätzen angelehnt, stimmen wogende Glissandi und raue Attacca-Einsätze auf harmonisch-folkloristische Klangfarben ein, die sich in atonaler Zerstreuung aufzulösen scheinen. Mit minimalistischen Mitteln schafft ein Adagio auf wundersame Weise und unter Einsatz nur weniger Töne Melancholie, die am Ende zu einem Abgesang mit abruptem Finale führt. Auf Río-Pareja folgt „Sternenstill“ von Lisa Streich, ein wundervolles Stück neuer Musik, das zeigt, wie Musik des 21. Jahrhunderts eine Weiterentwicklung der Klangsprachen von Romantik und Moderne sein kann. Beide Künstler sind in dieser Saison „composer in residence“ des Auditorio de Barcelona. Mit Alban Bergs Lyrischer Suite beschloss das Quatuor Diotima sein markant vorgetragenes Konzertprogramm.
Das renommierte und auf die Musik des 20. und 21. Jahrhundert spezialisierte Jack Quartett interpretierte eindrucksvoll das dritte Streichquartett von Georg Friedrich Haas „In iij. Noct.“ Das Werk ist eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Musizieren im Dunkeln und lässt den Spielern freie Hand bei der Gestaltung musikalischer Elemente. Beim Hören im Dunkeln fließen Gedanken und Assoziationen anders und mit großer Eindringlichkeit erzeugte das Ensemble kontrastreiche Atmosphären, die mal verstörten, mal beruhigend wirkten. Durch das exzellente Miteinander der vier Musiker und deren Positionierung in den vier Ecken des Saals wurde das Dunkelkonzert zum physischen Erlebnis mit Dolby Surround Effekt.
Den Kuratoren Robert Breufau (Direktor des Auditorio) und Santi Barguñó (Künstlerischer Leiter)des Bienal de Cuartetos de Barcelona ist zu gratulieren zu einer starken Quartett-Biennale in Zeiten kammermusikalischer Krise.
Titelfoto: Jack Quartet, © May Zircus