Einfach Klassik.

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Äneas Humm, Cover

CD-Review: Äneas Humm, Renate Rohlfing – Sehnsucht

Der Bariton Äneas Humm und die Pianistin Renate Rohlfing haben wieder ein Album aufgenommen. Das eingespielte Duo hat das schon öfter getan und kann es offenbar nicht lassen. Humms selbstgewählte Aufgabe ist es, durch faschistische Herrschaft in Vergessenheit geratenes Repertoire und Komponist*innen wieder hörbar zu machen und damit eine Leerstelle in der Kulturgeschichte zu schließen. Auf dem neuen Album „Sehnsucht“ gibt es Musik von vier jüdischen Komponistinnen, deren Lebenswege von Exil und Verfolgung geprägt waren. Während Arnold Schönberg, Erich Zeisl und Alexander Zemlinsky während der Naziherrschaft ins Exil gingen, blieb die als „Halbjüdin“ geltende Henriëtte Bosmans in ihrer Heimat Amsterdam. Vier ihrer Lieder stehen am Schluss des Albums.

Rente Rohlfing, Äneas Humm
Rente Rohlfing, Äneas Humm

Aber wie es bei manchen CDs und überhaupt Dingen im Leben ab und zu passiert, braucht es etwas Zeit, bis sie sich mir erschließen. Ich musste „Sehnsucht“ schon zweimal anhören, um in die besondere Musik und den besonderen Vortrag hineinzufinden. Wenn man sich hier mal auf nicht so schnellen Konsum einlässt, dann öffnet sich eine ganz beeindruckende Klang- und Musikwelt. Man muss Renate Rohlfing bei ihrer Liedbegleitung schon zuhören, um zu verstehen, wie viel Kunstfertigkeit und Sachverstand hier zur Anwendung kommen. Eigentlich schafft sie Dreierlei: Sie gestaltet eine sehr oft eigenständige Klavierstimme, während sie dabei dem Bariton eine musikalische Basis gibt. Und dann ist da aber noch das ständig modulierende Wechselspiel mit dem Sänger, das gegenseitige Besetzen und Freigeben von Räumen, das einander im positivsten Sinne Ziehen und Drücken. In Alexander Zemlinskys „Vor der Stadt“ ist diese Dreifachaufgabe besonders gut zu beobachten. Die Pianistin erledigt das mit so viel Musikalität und Gefühl, dass sie gleichzeitig kaum auffällt und das unabdingbare Zentrum der Musik ist. Letzteres braucht Äneas Humm auch. Zwar wäre seine voluminöse, vor allem opernarbeitende Stimme raumgreifend genug, um allein zu stehen, aber der Bariton kann im Ensemblespiel noch viel besser wirken. Es klingt unlogisch, aber die Anwesenheit des Klaviers ermöglicht ihm mehr Räume zur Gestaltung und für den Klang seiner Stimme.

Äneas Humm mit dynamischer Bandbreite

Schon immer fand ich Humms besonderes Timbre sehr bemerkenswert, hörte eine interessante Mischung aus Kraft und Weichheit. Mit den Jahren glaube ich außerdem einen Reifungsprozess in seiner Stimme wahrzunehmen. Gerade in den ersten Erich Zeisl-Liedern und in den letzten von Henriëtte Bosmans fällt mir auf, dass Humm durch die vielen Opernengagements an stimmlicher Kraft und Größe gewonnen haben muss. Zum Programm auf dem Album und zu Humms Weg insgesamt passt das ganz wunderbar; kann er dadurch die volle Dynamikbandbreite noch zurückgelehnter abbilden. „Le Chanson fatale“ singt er sehr eindringlich und lässt sich dabei von der Pianistin kollegial tragen, während auch Pausen und ruhige Passagen im Kontrast dazu viel Aufmerksamkeit bei den Hörenden binden. „Le Regard Éternel“ beginnt Renate Rohlfing mit fast enervierend singenden Basstönen und beide erzeugen bei Humms Einsatz dann große Spannung.

Renate_Rohlfing, Foto © Gaia Squarci
Renate_Rohlfing, Foto © Gaia Squarci

Diese zieht sich durchs Album; selbst in fröhlich beginnenden oder anmutenden Liedern arbeiten die beiden eindrucksvoll die Widersprüche heraus und setzen damit ein musikalisches Argument dafür, dass menschliche Geschichten und Schicksale nicht immer so einfach und klar sind, wie wir sie uns in gesellschaftlichen und politischen Diskussionen manchmal wünschen.

Gerade zur Zeit sind Platten wie „Sehnsucht“ extrem wichtig für uns alle. Das klingt wie ein Allgemeinplatz, aber es ist nunmal einfach so. Und in Renate Rohlings und Äneas Humms Präsentation und Ausführung bringt das Hören – neben aller Information und Horizonterweiterung – nicht zuletzt großen musikalischen Genuss!

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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