Die Pianistin Aliya Turetayeva, in Kasachstan geboren und heute in Köln lebend, beweist auf ihrem neuen Soloalbum Credo, dass sie es mit dieser Titelgebung ernst meint. Ihr Klavierspiel stellt schon nach wenigen Takten klar: Hier geht es nicht nur um die spirituelle Dimension von Musik im Allgemeinen, sondern es lebt ein individuelles, tiefes und persönliches Bekenntnis – zu sich selbst und zu den eigenen Emotionen, die in Bachs Musik ihr überhöhendes Vehikel finden.
In frühester Kindheit, als sie die Messe in h-Moll hörte, wurde Bach nach eigenem Bekunden zu einer Quelle von Trost und Inspiration für die junge Pianistin, und so lässt sie in der Regel auch jeden Tag mit dem Spiel von Johann Sebastian Bachs Musik beginnen. Und ja, der erste Teil dieser neuen CD, deren erster Teil Bach gewidmet ist, legt offen, dass es hier um eigene Fragen des Lebens und der Existenz geht.
In dem von ihr extrem entschleunigten Choralvorspiel „Ich ruf zu Dir, Herr Jesu Christ“ (BWV 639) entfaltet sich eine Getragenheit, hinter der bei Aliya Turetayeva maximale emotionale Aufrichtigkeit steht. Die langsamen, tiefen Töne sind nicht nur klanglich meisterhaft modelliert, sondern mit so viel Schwere aufgeladen, als würde ein stiller, aber kraftvoller Akt des Gebets in transzendentale Reflexion hineinführen. So geht es weiter auf „Credo“. Noch gedämpfter und abgeklärter verdichtet sich diese Aura in der folgenden Choralbearbeitung „Nun komm, der Heiden Heiland“.(BWV 659)
Ein Großteil der Musik, die in späteren Jahrhunderten entstand, wäre ohne die Prägung durch das „System Bach“ überhaupt nicht denkbar. Feruccio Busoni demonstrierte dies zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer transformatorischen Großtat, als er – unter anderem – Bachs Choralvorspiele sowie seine Violin-Chaconne D-moll in eine spätromantisch bis frühmodern anmutende Pianistik überführte. Die zeitlose Ausdruckstiefe des Originals bleibt dabei mit glasklarer Präzision und ebenso viel emotionaler Wucht erhalten. So wirkt es zumindest, wenn sich Aliya Turetayeva der Chaconne aus der Partita Nr. 2 annimmt und hier das ganze dramatische Ringen mit der eigenen Existenz durchlebt.
Aliya Turetayeva mit Leichtigkeit und Melancholie
Ja, nach so elementaren „Bach-Erlebnissen“ auf dieser CD ist man erst einmal voller Eindrücke und tief bewegt, dass man erstmal innehalten und Luft holen muss. Denn was jetzt folgt, ist erstmal von einer ganz anderen Farbe und vor allem viel Leichtigkeit dominiert.
In Franz Schuberts Klaviersonate A-Dur, D 664 zeigt Aliya Turetayeva eine weitere Facette ihrer pianistischen Kunst: Jetzt geht es um die Leichtigkeit des Seins, welche diese Pianistin gerade aus dem Walzerthema des dritten Satzes so anmutig sprühen lässt. Aber neben dem Licht ist auch viel melancholischer Schatten – sonst wäre es ja nicht Schubert und die gestalterische Wendigkeit von Aliya Turetayeva erweist sich hier als ideales Medium! Denn die feine Artikulation dieses Spiels und der transparente Klang wirken wie ein inneres Singen, das voller Wärme und hörbarer Freude am Leben strahlt.
Mit den Fantasiestücken opus 11 von Robert Schumann öffnen sich zum Finale dieses Programms neue Tore zu einer komplexen Welt der menschlichen Psyche mit inneren Konflikte auf einer breiten Skala zwischen Traurigkeit und Schwärmerei. Was für alle drei Programmpunkte dieser CD gilt: Diese Pianistin lässt die Musik „atmen“, dehnt die Phrasen, zieht das Tempo leicht in die Länge, nur um es dann mit einem plötzlichen akzentuierten Moment wieder zu konterkarieren. Eine solche, dezidierte Artikulation im Spiel von Aliya Turetayeva hält die Musik immer in lebendiger Bewegung und trägt dazu bei, dass sich diese, ewig gültigen Kompositionen direkt mit der Seele der Hörenden verbinden. Aufrichtiger lässt sich Musik wohl kaum erfühlen.