Anastassiya Dranchuk, eine in Berlin lebende und aus Kasachstan stammende Pianistin zieht mit ihrem CD-Debüt eine bisherige künstlerische Bilanz und möchte zeigen, wo sie im Leben und in ihrer Karriere steht. Zu so etwas werden natürlich Kompositionen heran gezogen, die im eigenen Leben irgendwann mal, vielleicht sogar in der Kindheit eine herausragende Rolle spielten. Was sich im Idealfall dann auch so anhört, wenn das Spiel besonders tief blickend und persönlich klingt. Auf ihrem Debut-Album „Rites de Passage“ löst die Musikerin diesen Anspruch souverän ein.
Anastassiya Dranchuk – Dunkle Klangmagie und lyrische Innigkeit
Tschaikowskys Nussknacker-Suite, Fazil Says „Troy-Sonata“ und schließlich ein ambitioniertes Schubert-Liszt-Finale zeigen, dass diese Musikerin programmatisch groß denkt. Noch mehr wiegt, dass ihrepianistische Handschrift im bestem Sinne „eigen-willig“ anmutet oder nennen wir es ruhig auch mal „rebellisch-aufbegehrend“. Impulsiv holt sie damit viele kontrastierende Details, Bildern und lautmalerische Gesten in Tschaikowskys Nussknacker-Suite aus den Tasten. Mit federnder Agogik treibt der Marsch im ersten Abschnitt voran. Anastassiya Dranchuks Ausgestaltung der Bassfigur ist hier nur eines der zahllosen weiteren Details, in denen sich gestalterische Finesse zuhauf zeigt. Beim nächsten Programmpunkt wird es echt spektakulär: Fazil Says „Troy Sonata“ gibt dem zweifellos vorhandenen inneren Feuer dieser Künstlerin reichlich Nahrung und zieht in ein Szenario von bestürzender Wucht und dunkler Klangmagie hinein. Zum Höhepunkt wird das Stück über den Krieg mit seinen dunklen Akkordballungen. Die Welt ist im Aufruhr und Musik muss ein Resonanzraum dafür sein. Genau das nimmt man dieser Künstlerin und ihrer pianistischen Lesart ohne weiteres ab. Nach so vielen Vorstößen in spieltechnische und emotionale Grenzbereiche hinein realisiert Anastassya Dranchuk in Franz Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ eine lyrische Innigkeit, wie bislang selten so vernehmlich war.
Diese Künstlerin blickt tief
Hochachtung verdient der lautmalerische Aspekt, mit der die Drehbewegung des Spinnrads bewusste „verstehend“ hörbar gemacht wird. Einmal so tief in der Sache drin, zieht ihr Spiel danach in alle Höhenflüge und Abgründe, die in Franz Liszts Mephistowalzer zusammenkommen. Alle pianistischen Möglichkeiten aufbieten ist hier Pflicht, die von Anastassiya Dranchuk gemeisterte Kür liegt darin, starke Momente von derbem Furor und funkelnder Eleganz auf kleinem Raum zu vereinen. So klingt es im Idealfall, wenn eine Künstlerin auch den philosophischen Überbau hinter der Komposition tief verinnerlicht hat. Es geht um die Verführungsmacht des Mephisto und noch mehr um das „faustische“ Streben. Warum nicht hier einmal eine Brücke zur Lebensrealität vieler kulturschaffender Menschen schlagen, für die sich Anastassiya Dranchuk auch politisch stark macht.