Einfach Klassik.

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CD-Review: Andrey Denisenko – Per aspera ad astra

Werke von Johannes Brahms und Robert Schumann zusammen auf einem Album zu platzieren ist, nunja, keine ganz neue Idee. Dennoch spricht ja auch nichts dagegen. „Per aspera ad astra“ der Titel der neuen CD des jungen Pianisten Andrey Denisenko, von der Erde zu den Sternen, soll die Umwandlung von menschlichem Leid über Verarbeitung in musikalische Schönheit bezeichnen und damit das Thema für das Album setzen. Sowohl Brahms als auch Schumann gehörten zu den vielen Künstler*innen die persönliches Leid in ihren Werken verarbeitet haben. Die vielleicht populärste Herangehensweise für alle Kunstschaffenden. 

Andrey Denisenko hat im Prinzip gerade eben erst seine Ausbildung am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow und an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei namhaften Lehrer*innen abgeschlossen und debütiert bereits auf großen Bühnen und international.

Andrey Denisenko mit besonderer Leistung

Bei allem Konzept ist auch der Einstieg in sein neues Album überraschend. Johann Sebastian Bach schrieb die Partita in d-moll BWV 1004 kurz nachdem er vom Tod seiner Frau Barbara erfahren hatte, das erste Beispiel für das Albumkonzept. Denisenko spielt daraus die Chaconne,  jedoch in der Bearbeitung von Johannes Brahms für die linke Hand am Klavier. Bachs Stil noch weiter reduziert auf so einen kleinen Klangkörper holt mich beim ersten Hören nicht wirklich in die Platte hinein. Springe ich jedoch im späteren Verlauf von „Per aspera ad astra“ zurück zum ersten Titel, dann funktioniert diese miniaturhafte Kleinszene ganz wunderbar, und ich kann mit Verständnis für die besondere Leistung der beiden Komponisten und des Pianisten hören. Vielleicht wäre das Stück als Puffer zwischen den beiden Hauptwerken auf dem Album noch besser aufgehoben gewesen.

Brahms kommt dann ins Programm, nicht nur als Versionist, sondern mit kleineren, einfacheren Klavierstücken, die er gegen Ende seines Lebens nach einer längeren Pause vom Klavier solo geschaffen hat. Die „7 Fantasien, Op. 116“ zeugen auch vom durchlebten Leid des Komponisten, sollen aber mit ihrer überschaubaren Anlage nicht täuschen, verbergen sich doch innerhalb dieser abgegrenzten Welten wieder große Innenleben und musikalische Weiten. Andrey Denisenko verdeutlicht das vor allem mit Dynamiksteuerung, nutzt einen beeindruckenden Laut-Leise-Bereich zur wechselweisen Darstellung von Dramatik und stiller Konzentration. Starke dynamische Entscheidungen sind es auch, mit denen der Solist die Einzeltöne längerer Bögen im Gesamtkontext platziert. Das ist in der Ausführung fast etwas monoinstrumental, aber Denisenko spielt so effektiv, konsequent und kunstvoll mit diesem simplen Stilmittel, dass die Wirkung sehr verblüfft. Erst im Verlauf der Fantasien kommen dann andere Gestaltungsmittel hinzu, als erstes die mit Bestimmtheit ausgespielten Pausen, denn der Pianist hetzt sich nie, gibt der Musik die Zeit die sie braucht um sich entwickeln und dann wirken zu können. Manchmal sitze ich einzelne Zwischenräume zwischen Noten richtig aus, weil ich überraschenderweise mehr Aktionismus erwarte, der aber glücklicherweise nicht stattfindet. In diesem Detail zeigt Denisenko seine während der Ausbildungsjahre dann doch schon beträchtlich gewachsene Spielerfahrung.

Details in der Spieltechnik

Je länger man sich auf diese Aufnahme einlässt, desto mehr Details erkennt man. Mit der Zeit spielt Andrey Denisenko dann eine weitere interpretatorische Stärke, die sich gewaschen hat. Dabei geht es nicht um eine spezielle Technik, ein einzelnes Gestaltungsdetail wie Agogik oder Verzierungen. Die Darstellung von Gefühlsübergängen zu etwas Besonderem zu machen erfordert nicht nur eine Reihe an Fertigkeiten, sondern vor allem Einfühlungsvermögen und Konzentration auf Werk und Komponist. Emotionale Wechsel, zum Beispiel von Traurigkeit zu Hoffnung, spielt der Pianist mit solch einer hingebungsvollen Schönheit, die ich bisher selten aus einem einzigen Kulturkreis als Ursprung des Interpreten gehört habe. Hier merkt man, dass der Künstler in seinem Leben bereits durch verschiedene Welten gegangen ist, und dadurch diverse Erfahrungen in die Details seiner Spieltechnik einfließen lassen kann. Hört man sich in „No. 4., Intermezzo. Adagio“ die zwar in Dur gehaltenen, aber dennoch versonnen tief-traurigen Stellen an, dann erlebt man diesen jungen Pianisten dabei wie er in Perfektion Anschlagstechnik, Agogik und Phraiserung vereint um wirklich den Schmerz in der Musik in unsere Herzen zu transportieren. Das ist letztlich das interpretatorische Niveau zu dem alle Pianist*innen und generell alle Musiker*innen hinwollen und auch hinmüssen. 

Andrey Denisenko, Photo © Tumen Dondukov
Andrey Denisenko, Photo © Tumen Dondukov

Diese in Brahms Fantasien grundlegend demonstrierten Fähigkeiten kultiviert Andrey Denisenko dann auch in Robert Schumanns „Kreisleriana, Op. 16“ auf technisch höchstem Niveau. Das Werk verlangt pianistisch Vieles ab. Ob der Solist dies „meistert“ ist dabei aber nicht die Frage, denn sonst dürfte er nicht zu solch einer Aufnahme antreten. Erwartungsgemäß macht Denisenko das zur Selbstverständlichkeit und bleibt immer in der Gestaltung des Vortrags. Er versucht mit Konsequenz zu formen, und wenig Fragen offen zu lassen. Ein Ansatz, den man bei diesem Werk durchaus verfolgen kann, für mich ergibt sich dadurch ein abgeschlossener Höreindruck, der es mir mehr ermöglicht, die Schönheit und Kunstfertigkeit der Komposition zu genießen. Natürlich wäre es auch eine Alternative gewesen mehr Räume für Interpretation durch die Hörer*innen offen zu lassen, aber in der generellen und globalen Stimmung, in der mich dieses Album erreicht ist Denisenkos übergeordnete Interpretationsentscheidung durchaus valide und vielleicht auch entspannend. Und dann, am Ende, sind die technischen Anforderungen in den schnellen Passagen für mich als Endnutzer doch wieder unterhaltsam zu hören, Speed sells. 

Andrey Denisenko bringt uns hier ein rundes Album it einem überraschenden Einstieg, das verblüfft, unterhält, nachdenklich macht, in erster Linie aber anrührt und bewegt. Es lohnt sich definitiv den weiteren Weg dieses jungen Pianisten zu beachten und zu verfolgen!

Titelfoto © Tumen Dondukov

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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