Einfach Klassik.

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CD-Review: Antje Weithaas spielt Vasks Violinkonzert No. 2

Ein Violinkonzert von Pēteris Vasks ist für Liebhaber*innen baltischer klassischer Musik sicherlich hinwendungswürdig. Die bekannte und erfahrene Geigerin Antje Weithaas leitet das kleine, aber sehr feine Kammerorchester Camerata Bern, das als Stiftung agierend ein sehr selbstbestimmter Klangkörper ist. Prädestiniert also für die Leitung und Kooperation mit einer Solistin.

Vasks zweites Violinkonzert „In Evening Light“ stammt aus dem Jahr 2020. Der lettische Komponist wählte als Thema das Abendlicht, was erstmal in der Komposition wirklich wörtlich als Zusammenspiel aus Licht und Schatten zu verstehen ist, wodurch Klangfarben und das strukturelle Vorkommen von Pausen bestimmt wird. Darüber hinaus steht das Abendlicht aber auch sinnbildlich für den menschlichen Lebensabend, der in der Rückschau betrachtet die Dynamikstrukturen des Werkes setzt. Dabei ist vor allem die Ruhe und Stille zu nennen, mit der der Komponist ein Gefühl des Friedens verbreitet, vor allem in den Randsätzen des letztlich dreisätzigen Konzertes. Das vorausgesetzt, beginnt der erste Satz jedoch nicht in erwarteter Weise, sondern stellt direkt den thematischen Wortbezug her, indem das Abendlicht wie ein Schwall ausbricht und sich die hohen Lagen des reinen Streichorchesters gleich helltönig in den Vordergrund spielen. Im Verlauf erfolgt dann aber die dynamische Beruhigung, und vor allem die Camerata Bern legt kunstfertig dar, wie der Komponist die Zwischenräume zwischen den Noten richtiggehend zelebriert. Antje Weithaas bettet sich im ersten Teil sehr in das Orchester ein, sie verschmilzt richtig mit den hohen Streichern, wodurch diese ätherische Magie in Vasks Kompositionen wunderbar dargestellt wird. Mit Ruhe und Erfahrung weiß die Geigerin sich geschickt und taktisch im Sinne der Musik zu positionieren, und wenn man das gesamte Album gehört hat, dann wird Weithaas’ übergeordnete Herangehensweise klar. Über Kadenzen und Mittelsatz hinweg stellt sich die Solistin langsam und unmerklich immer etwas mehr in den Vordergrund und agiert zum Schluss hin in Lautstärke und Abgrenzung zum Orchester dann wieder ganz solistisch. Ein sehr geschmackvolles und fast schon bescheidenes Vortragskonzept, das ich in seiner Subtilität wirklich genial finde!

Weithaas Cover

Bemerkenswert bei diesem Konzert sind die beiden schon kurz erwähnten relativ langen Kadenzen, die Vasks um den Mittelsatz herum vorgesehen hat. Für jede Solistin und jeden Solisten ist das eine positive Herausforderung, geben diese Abschnitte ja erstaunlich viel Raum zur Gestaltung. Antje Weithaas nutzt diese Einladung wieder mit sehr viel Sinn für Geschmack und Musikalität. In der ersten Kadenz entscheidet sie sich für Volumen, bläst ihr Instrument groß auf und macht aus den vielen Zweiklängen eine richtige Instrumentengruppe. An einer Stelle spielen zwei Töne unisono, und meine eigenen, beschaulichen vier Jahre Geigenunterricht machen es mir umso unverständlicher, wie man so eine simple musikalische Situation auf diesem Instrument derart voluminös spielen kann. Das müsst ihr gehört haben!

Antje Weithaas erzählt

Um bei den Kadenzen zu bleiben, die Zweite ist agiler angelegt, fordernder und etwas dissonanter. Antje Weithaas nimmt auch das gerne an, lässt sich aber nie zu plakativem Teufelsgeigen hinreißen. Das würde an dieser Stelle ihren Fähigkeiten und der Intention des Komponisten keineswegs gerecht. Vielmehr macht die Solistin aus den Zusammenklängen Erzählelemente, wechselt organisch zwischen Strich und Pizzicati, ohne dabei an Spieltechniken denken zu lassen. So modelliert sie musikantisch die persönliche Rückschau im Werkthema und wird in den tiefen Lagen dann doch auch wieder sehr voluminös.

Antje Weithaas, Foto © Kaupo Kikkas
Antje Weithaas, Foto © Kaupo Kikkas

Die Camerata steigt dann gegen Ende der Kadenz mit aller Dramatik ein, die einem Kammerorchester möglich ist. Und auch hier verhindert Vasks Harmonik ein schlichtes Aufbauschen von Atmosphäre und Lautstärke, sondern hält die Musik immer deutlich weiter in der Welt der Fragen denn der Welt der Antworten.

Der Schlusssatz ist dann zeitweise ganz Violinkonzert, in dem Orchester und Geigerin in Zwiesprache stehen, sich gegenseitig stützen, fordern und die Bälle zuspielen. Das komplettiert den Vortrag in den verschiedenen Herangehensweisen der Musiker*innen und zeigt Vasks zweites Violinkonzert als bewegendes, emotionales Werk, das für sich stehend mein musikalisches Gehirn abendfüllend beschäftigen kann und das hier in einer genialen Kooperation mit Antje Weithaas meisterlich dargeboten wird.

Titelfoto © Marco Borggreve

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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