Es ist kaum vorstellbar, in welch gefühlsmäßiger Verfassung Beethoven gewesen sein muss, als er 1804 seine 23. Klaviersonate komponiert hat. Erst 1831 erhielt sie den Beinamen „Appassionata“. Da war Beethoven bereits 4 Jahre tot. Mehrfach von ihm überarbeitet, wurde sie erst 1806 endgültig fertiggestellt. Das Stück ist eine Herausforderung für jeden virtuosen Pianisten. Man stelle sich die dunkelsten Abgründe vor und wird dem Grundcharakter dieses Werkes trotzdem nur ansatzweise gerecht. Selten wurde in der Geschichte der Klavierliteratur eine menschliche Tragödie derart kompromisslos vertont. Beethovens Schüler Czerny sagte einst über die Sonate, sie sei „wie das Wogen des Meeres in stürmischer Nacht, während von Ferne ein Hilferuf ertönt.“ Ähnlich wie Czerny wird wohl jeder Mensch, der die „Appassionata“ kennenlernt, eigene Assoziationen in das Stück projizieren.
Als ich diese Sonate vor vielen Jahren erstmalig hörte, verursachte sie bei mir tachykardieartige Zustände, denn alle 3 Sätze sind vom Tenor her extrem in der Form. Nicht nur dem Pianisten, auch dem Hörer wird absolute Konzentration abverlangt. Die „Appassionata“ buhlt nicht um Aufmerksamkeit, sondern erzwingt sie vom ersten Ton an.

Artur Pereira, ein in den deutschsprachigen Ländern eher noch unbekannter, aber dafür hochvirtuoser portugiesischer Pianist, präsentiert auf seinem aktuellen Album eine „Appassionata“, deren Intensität und Leidenschaft schon zu Beginn des allegro assai voll zur Geltung kommt. Einem Erdrutsch gleich, fegt Pereira mit geballter Energie über die Tastatur. Es gelingt ihm vortrefflich, den düsteren Grundcharakter der Sonate mit eigenen intellektuellen Ansätzen zu verknüpfen. Sein herausforderndes, tiefgründiges Spiel baut einen enormen Spannungsbogen auf, der konstant bis zum grandiosen Finale anhält. Eine atemberaubende tour de force auf dem Konzertflügel.
Artur Pereira portugiesisch
Ähnlich wie Vasco Dantas hat auch Artur Pereira seine aktuelle Veröffentlichung mit dem Werk eines portugiesischen Komponisten gepaart. Nach Beethovens Seelenpein wirken die „Berggedichte“ (Poemas do Monte) von Luiz Costa (1879 – 1960) stimmungstechnisch fast schon pastoral.

Costa beschreibt in dem wunderschönen, aus vier Sätzen bestehendem Stück die ländliche Umgebung Nordportugals um 1900 herum. Der erste Teil (Über den Bergen) nimmt uns auf einen Ausflug ins Gebirge mit, während wir im „Brunnengeflüster“ dem munteren Treiben rund um einen Dorfbrunnen zuschauen. Im „Echo aus den Tälern“ beschreibt Costa die friedvolle Landschaft in den Tälern der Minho-Region und im abschließenden Teil (Kirchturmgeläut) lauschen wir andächtig dem Läuten der Glocken an einem strahlenden Sonntagmorgen.
Artur Pereira arbeitet den lyrischen Kontext dieser musikalischen Dichtung mit Liebe zum Detail heraus. Sein untrügliches Gespür für Klangfarben lässt die „Berggedichte“ wie ein poetisches Bilderbuch erscheinen. In Zukunft würde ich gerne mehr von Costa hören wollen.
Die Aufnahmen zu dieser CD entstanden 2018 in der Royal Northern College of Music zu Manchester. Klanglich auf höchstem Niveau, zieht Pereira sowohl technisch als auch künstlerisch alle Register seines Könnens. Im Rahmen eines 7-Jahres-Projekts ist die Veröffentlichung aller Beethoven-Klaviersonaten in Verbindung mit Stücken weniger bekannter portugiesischer Komponisten geplant. Bleibt zu wünschen, dass dieses Vorhaben gelingen möge. Wir sind gespannt.