Große Vokalwerke sind etwas Wunderbares! Ihre Anlässe sind festlich, man benötigt große Ensembles, viele Musiker*innen und Sänger*innen, und folglich sind auch die Aufführungen immer großformatig. Ich bin ein großer Freund der Oratorien, der Messen und manchmal auch der Requien.
Die bekannten, älteren Werke haben oft sakralen Ursprung, da die Kirchen den Rahmen boten, Musik in solcher Größe zu produzieren und aufzuführen. Gegenbeispiele dazu gibt es aber natürlich, zum Beispiel Paul Hindemiths „Das Unaufhörliche“.
Die Stadt Dresden hat seit Jahrhunderten Weltbedeutung in der klassischen Musik. Der Dresdner Kreuzchor ist einer der renommiertesten und traditionsreichsten Knabenchöre der Welt. Nicht zuletzt der von mir sehr verehrte Tenor Peter Schreier entstammte dem Chor. Ähnliches gilt im Orchesterbereich für die Dresdner Philharmonie. Das Sinfonieorchester residiert im traditionsreichen Kulturpalast in der Stadt.

Spannende Werkauswahl
Wenn so viel geballte Tradition und Kompetenz sich zu einer Aufnahme zusammenfindet, dann muss das ja gut werden! Und dann beginnt dieses Album mit dem „Gloria“ des französischen Komponisten Francis Poulenc. Diese Programmierung am Anfang der CD ist mir so sehr sympathisch! Zwar ist das ein sakrales Werk, aber nur gerade so. Poulenc hielt die religiösen Bezüge sehr klein und lose und dachte dabei eher an fußballspielende Mönche und zungenbleckende Putten. Kreuzchorkantor Martin Lehmann weist ausdrücklich auf die Herausforderungen in der Entwicklung seines Chores hin, die durch die immer kleiner werdende Gruppe der konfessionell lebenden Menschen in unserer Gesellschaft entstehen. Die dadurch notwendige Öffnung und der größere Bedarf an Austausch führten vielleicht zur Wahl von Poulencs Werk, die ich für äußerst klug und gelungen halte! Nicht zuletzt wegen der überraschenden, begeisternden und atemberaubenden Musik, die das Vokalwerk enthält.

Die Musiker*innen und Sänger*innen lassen sich bei dieser Aufnahme mitreißen von der oft überraschend fröhlichen und vorwitzigen Grundstimmung in der Musik. Sehr agil und für solch große Ensembles begeisternd akkurat gestalten sie die Wechselrhythmen im „Laudamus Te“ und bleiben dabei immer locker jovial erzählend. Fast fühle ich mich in einem Unterhaltungsfilm der 1950er oder 1960er Jahre.
Und dann kommt die Solistin, die Sopranistin Elsa Benoit, dazu, die ein zunächst eher überraschend färbendes Vibrato kultiviert, das sich aber im Verlauf des „Gloria“ als perfekt passend für diese transzendenteren Aspekte und Eindrücke des Werkes herausstellt. Benoit legt sich mit hintergründigem Tonansatz und dafür erstaunlich wenig Luftanteil in der Stimme über Chor und Orchester und öffnet damit noch einmal weitere Ereignisräume für die Aufführung.
Dresdner Kreuzchor mit schreitender Agogik
Schon Poulencs „Gloria“ allein brächte mich begeistert dazu, die CD einzulegen, und dann folgt Franz Schuberts Messe in As-Dur D. 678, ein Werk, an dem Schubert lange gefeilt und optimiert hat und das unter Kenner*innen als Meilenstein in seinem Œuvre gilt, trotz seiner von außen gebrachten Zuschreibung als Liedkomponist. Es ist ein durch seine kompositorische Perfektion und Schönheit begeisterndes großes Stück Musik, das dem Kreuzchor, seinem Kantor, dem Orchester und den Solist*innen am Herzen liegen muss. Und das hört man. Die Ausführung geschieht zunächst mit Bedacht, langsam schreitende Agogik im Chor und vorsichtig modellierte Crescendi im Orchester lassen mich gleich im „Kyrie“ aufhorchen. Und sehr passend setzt auch die Altistin Ulrike Malotta erst noch verhalten, aber damit eben wunderbar themasetzend ein und hilft dadurch zentral mit, das Werk einzuleiten.

Im „Gloria“ der Messe geht es dann aber voll zur Sache, wir legen die Ohren an und genießen nicht nur die Schönheit der Musik, sondern auch den puren Schalldruck. Und während Chor und Orchester hier fröhlich werken und wirken, sind die Vokalsolist*innen mittendrin und bekommen sogar auch am Anfang des Satzes genug Raum, um diesen intensiven Teil mitzugestalten. Und insgesamt fällt mir hier die hohe Synchronität auf, mit der im weiteren Verlauf des Satzes die Erzählabschnitte ausgeführt werden. Chor und Orchester handeln mit blindem Verständnis und können sich so auf die Gestaltung dramaturgischer Bögen konzentrieren, was der Musik zum einen ihre wunderbare Räumlichkeit verleiht und zum anderen mich beim Hören richtig mitfiebern lässt.
Leise Klangfelder
Bemerkenswert finde ich auch die Bläser der Dresdner Philharmonie, die in den weiteren Sätzen der Messe immer wieder sehr schöne Akzente setzen können oder sogar ganze Ebenen in den Gesamtklang einziehen, die Größe verleihen. Und insgesamt kann das Orchester trotz der unterschiedlichen Werkform mit Weite und großer Dynamik Symphonie ausspielen, Klangfelder leise aufsetzen und dann zu beeindruckendem Volumen aufblasen. Das ist höchst unterhaltsam und im besten Sinn fordernd für meine Abhörsituation.
Interessanterweise kommt die CD dann aufgrund der Struktur von Schuberts Messe nicht zu einem fulminanten Ende, sondern hat einen eher ruhig schreitenden Abschluss, den die Beteiligten aber konsequent umsetzen und somit dem Werk höchst gerecht werden.
Nicht nur für die Liebhaber großer Vokalmusik ist dieses Album eine starke Hörempfehlung, enthält sie ja durchaus die etwas anderen sakralen Werke.
Titelfoto © Grit Dörre