Was wisst ihr über Johanna Senfter? Bei mir war das, kaum überraschend, recht wenig. Dabei war die deutsche Komponistin doch angeblich eine wichtige postromantische Stimme in der deutschen Kompositionslandschaft und prägte einen sehr eigenen Stil. Wie eigen der wirklich ist, kann man glücklicherweise selbst auf der neuen CD „Chamber Music“ des Else Ensembles erfahren. Schon der generische Albumtitel lässt vermuten, dass wir wieder einmal erleben dürfen, wie umtriebige Künstlerinnen wie das Else Ensemble wichtige, aber leider wenig bekannte Werke einer ebensolchen Komponistin ans Licht bringen. Wichtig genug! Die Musikgruppe aus Berlin hat damit genug Erfahrung, ist sie doch spezialisiert auf vergessene oder verfemte Musik, und häufig sind es die Werke von Komponistinnen, denen sich die Instrumentalist*innen widmen.
Wechselspiel mit dem Else Ensemble
Johanna Senfter hat stilistisch einen Haupteinflussgeber: ihren Lehrer Max Reger. Strukturen und Harmoniewendungen sind oftmals angelehnt, aber doch keine Kopie. Senfter schafft es, große Strukturen zu komponieren, mit weiten Schwingen durchläuft sie oder deutet die Wanderung durch einzelne musikalische Themen an und bleibt dabei erstaunlicherweise immer nüchtern, manchmal fast spröde. Musik wie gemacht für das Else Ensemble, das mit sehr dreidimensionaler Gestaltung von Spieltechniken und geschmeidigem, aber dynamikreichem Wechselspiel der Stimmen die kompositorischen Intentionen eindrucksvoll darstellt.
Die Variabilität in der Besetzung ist ein weiterer starker Aspekt des Ensembles, der die Programmierung des Albums in dieser Weise möglich macht. Klavierquartett, Klarinettenquintett, Klarinettensonate und weitere Trios bieten viel Abwechslung.
Naaman Wagner bietet am Klavier auf dem ganzen Album einen in sich schon sehr orchestralen Eindruck und gibt den Solostimmen immer guten Hintergrund. Im Klavierquartett zeigt er aber zu Anfang auch gleich, wie feinsinnig er Solostimme sein kann. Gerade er ist es, der den hintergründigen Witz in Senfters Werken detailverliebt herausarbeitet. Gleichzeitig genießt er es, sich dann und wann wieder hinter die anderen Ensemblemusiker*innen fallen zu lassen, um ein erneutes Auftauchen zu antizipieren. Weit ausgreifend spielt er dann die zentralen Themen, gerade im ersten Satz „Allegro“. Hier kooperieren die Streicher vortrefflich in thematisch bedeutsamem Wechselspiel mit ihm, was mit hoher Eingespieltheit und gegenseitiger Achtsamkeit großen Eindruck hinterlässt.
Salongemütlichkeit
Eine richtige Überraschung war für mich die Sonate, Op. 37, die mit ihrer süßlichen Harmonie- und Melodieführung sowohl von der Komponistin als auch vom Else Ensemble so viel Einfühlungsvermögen zeigt, dass ich beim Hören richtig hängen bleibe. Hier spielt sich die Klarinettistin immer mehr in den Vordergrund, zu der ich gleich noch schreiben werde. Im „1. Sehr ruhig“ schafft sie sich Räume im Verbund, ohne aber schon zu dominieren. Sie bleibt eher noch eine unter Gleichen mit dem Klavier und den Streichern. Die manchmal ganz kurz widersprüchlichen Harmonieverläufe werden trotzdem immer mit einer gewissen Salongemütlichkeit dargeboten, was auch durch die sehr klug dosierte Vibratoarbeit der hohen Streicher perfektioniert wird. Hier könnte es sehr schnell ein „zu viel“ geben. Im weiteren Verlauf der Sonate werden die Frage-Antwort-Wechsel immer schnelllebiger und unruhiger, was dann gegen Ende in einer vom Else Ensemble gut zusammenfassend abgebildeten Ruhelosigkeit mündet.

Ein großes Highlight des Albums ist dann auch das Spiel der Klarinettistin Shelly Ezra. Mit großspektralem Ansatz und voluminösem, raumgreifendem Ton gelingt und begeistert das Klarinettenquintett, wobei die Klarinette nicht notwendigerweise immer vorne auf der Rampe stehen muss. Ezra schafft es auch, mit Understatement durch den Vortrag zu führen, und das Else Ensemble eher als Schrittmacherin zu leiten. Auf die von den Streichern elegisch gestalteten Dynamikverläufe lässt sie sich immer auch kurzfristig ein und zeigt so ihre großen Stärken im Zusammenspiel. In Ton und Interpretationsfertigkeit steht sie den größeren Namen in der Klarinettenlandschaft in nichts nach und zeigt sich auf diesem Album äußerst beachtenswert. Denn all das gilt auch für die Klarinettensonate in A-Dur, Op. 57, in der die bisweilen widersprüchliche Anlage der Solostimme durch die Komponistin mit genau geplanten Dynamikverläufen der Klarinette bestmöglich ausgeführt wird.
Mit dem leichten Klaviertrio, Op. 134, setzt das Else Ensemble dann noch einen spielerischen Ausklang ans Ende des Albums, das sowohl wegen der Komponistin Johanna Senfter als auch wegen des beeindruckend agierenden Else Ensemble allen Klassikhörer*innen ein etwas anderes, sehr abwechslungsreiches Hörerlebnis beschert.