Ich war neu beim Thema Äneas Humm, und zunächst haben mich schriftliche Informationen auf ihn aufmerksam gemacht. Beim anhören seiner neuen CD EMBRACE war ich aber sofort überzeugt, dass mein Interesse begründet ist.
Der Schweizer ist Opernsänger, und seine Karriere ist noch jung. Daher passt sein hörbares Stimmbild gerade nicht ganz zu seiner Vita, denn Humm klingt höchst entwickelt und gereift. Wenn man seine Vita betrachtet, denn erfährt man von einer erstaunlichen Entwicklung, immerhin hat der Bariton im Sommer 2019 seine Ausbildung an der New Yorker Juilliard School abgeschlossen. Nach vielen absolvierten Opernengagements, Auftritten bei Festivals und Konzerten, ist Humms Kalender für 2022 auch schon wieder prall gefüllt. In der Zwischenzeit konnte er dann die schon lange geplante Aufnahme von “EMBRACE” abschliessen. Das Genre Lied ist eine von zwei großen Säulen seiner Karriere, und da verwundert es nicht, dass die Werkauswahl für die Aufnahme ausgefeilt ist. Lieder von Fanny Hensel, Franz Liszt, Viktor Ullmann und Edvard Grieg werden begleitet von der New Yorker Pianistin Renate Rohlfing, die Äneas Humm an der Juilliard kennengelernt hat. Seitdem haben die beiden schon einige Projekte zusammen durchgeführt, und die Kooperation bei “EMBRACE” war eine logische Folge.
Äneas Humm nutzt Spielräume
Die vier Lieder von Fanny Hensel an den Anfang zu stellen war ein kluger Schachzug von Äneas Humm. Bieten die sehr klassisch anmutenden Kompositionen, anders als die Lieder von Liszt, der Gesangsstimme doch viel Raum um zu wirken. Humm nutzt diese Spielräume ideal aus, bannt mit seiner bereits weit geschulten Technik Aufmerksamkeit und Konzentration der Hörenden. Und schon so früh auf der CD werden seine ganz eigenen, musikalischen Charakterzüge deutlich, wenn zum Beispiel bei leiseren, dunklen Vokalen die höheren Frequenzanteile seiner Stimme erstaunlich stark verschwinden, und die Timbrestruktur sehr geschlossen wirkt. Renate Rohlfing unterstützt den Sänger dabei maßgeblich, indem sie die Begleitung auf den Punkt genau in sehr klassischem Sinn dosiert, und stets an zweiter Stelle agiert.
Vor allem in “Ach die Augen sind es wieder” gestaltet Humm mit Lust und Genauigkeit. Sein Faible für Text, er stellt ausdrücklich die Worte in der Priorität höher als die Melodie, wirkt sich hier äusserst vorteilhaft für das Hörverständnis aus, und ermächtigt den Sänger, die Hensel-Lieder als anfängliches Schaulaufen für seine beeindruckenden, sängereschen Fähigkeiten zu nutzen.
Aber bei den Liszt-Liedern ändert sich dann die Herangehensweise der beiden. Es ist beeindruckend zu hören, wie radikal Renate Rohlfing am Klavier epochensicher zur romantischen Interpretation umschaltet. Mit den typisch leisen Spannungsbögen zu Beginn von “Ihr Glocken von Marling” bereitet sie perfekt die träumerische Sphäre, in der Äneas Humm die feinen Lautstärkunterschiede setzen kann. Fast tritt er dabei etwas in die Klavierbegleitung zurück, wobei aber auch hier das Textverständnis kein Stück geschmälert wird. In “Vergiftet sind meine Lieder” musizieren beide dann aber mit viel Dramatik und starken Impulsen. In „Es muss ein Wunderbares sein“ spielt Humm wieder mit den dunklen Timbres, und gestaltet sie dann sehr ausgewogen.
Ambivalenzen
So als wäre es eine zusammenhängende Aufnahme wandeln Humm und Rohlfing durch die kluge Werkauswahl, und finden im Zyklus „Der Mensch und sein Tag“ von Viktor Ullmann wieder zu einer komplett anderen Interpretationsart. Der österreichische Komponist hat das Werk 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt komponiert, und es spiegelt Ullmanns positiven Willen zur Kultur wieder, der ihn in seinen letzten Jahren im KZ begleitet hat. Mit vorsichtigen, und bedacht modulierten Tonansätzen legen der Sänger und die Pianistin den Fokus auf die vielen Ambivalenzen in dieser Musik, und mit den tiefen, im piano begründeten Dynamikverläufen tritt die Stille hervor, die Ullmann damals in den Liedern auch angelegt hat. Äneas Humm scheint es in diesen Liedern besonders wichtig zu sein, die Poesie der Texte deutlich zu machen, indem er noch mehr den Fokus auf das Wort mit stimmlicher Intonation verbindet.
Edvard Griegs “Sechs Lieder” bilden den launigen und runden Abschluss des Albums, das somit reich an kompositorischen und Genrefacetten ist, und durch zwei Musiker*innen bestimmt wird, die nicht nur genau wissen was sie tun, sondern deren Anliegen es ist, bei unterschiedlichen Werken immer deren Kern zu erfassen und herauszuarbeiten.
Hörgenuss
Bei der Aufnahme fällt mir auf, dass die Akustik im Sendesaal Bremen natürlich hervorragend und unbestritten ist. Dennoch ist sie mir für diese Besetzung schon deutlich zu groß, und ich hätte für Kammermusik auch gerne einen intimeren Raumeindruck gehört.
Wirklich schmälern kann dieses Detail den Hörgenuss aber nicht. Sowohl Äneas Humm als auch Renate Rohlfing sind noch relativ neu auf der Klassiklandkarte, und ich bin nach “EMBRACE” sehr gespannt, was wir noch alles von den beiden hören werden!