Ich werde meistens in eine ganz besondere Stimmung versetzt, wenn ich hochklassige Vokalmusik hören darf – und interessanterweise ist ein sakraler Bezug der gesungenen Werke dem nur zuträglich, vor allem wenn die Aufführung in einem klanglich passenden Raum stattfindet.
Um das vorwegzunehmen: All das bietet für mich das Album “Unerhörte Komponistinnen” vom Ensemble Horizons. Der vom hoch ausgebildeten Sänger, Dirigenten und Chorleiter Matthias Klosinski 2018 gegründete Kammerchor ist durch seine projektbezogene Arbeitsweise sowie nicht zuletzt durch eine technisch hohe Qualität charakterisiert. Er bietet im Repertoire von Gregorianik bis zur zeitgenössischen Musik eine sehr große Spannweite. Auch auf dem vorliegenden Album wird eine Mischung aus Klassik und Neuer Musik programmiert, und zudem ausschließlich Werke von Komponistinnen berücksichtigt. Anlass dafür war das 1. Tübinger Komponistinnen-Festival 2023, und erfreulicherweise haben das Ensemble und sein Leiter das Programm zusammen mit dem Tonmeister‑Label und ‑Studio Genuin auch aufgenommen. Und zwar in der Evangelischen Kirche Peter und Paul in Gönningen. Ja, die kannte ich auch nicht, aber ihr Klang ist ganz wunderbar für das Programm der CD geeignet: nicht riesig, aber steinern genug, um sakral wirkende Reflexionen hervorzurufen. Und es spricht für die Qualität der Sänger*innen des Ensemble Horizons, dass sie sich wunderbar in diesen Raum integrieren, hörbar nicht nur im Sopran, sondern auch im Alt.

Neben den bekannteren Fanny Hensel, Clara Schumann und Ethel Smyth wurden größtenteils weniger bekannte Komponistinnen ins Programm aufgenommen. Im regionalen Kontext des Festivals ist die 1815 geborene Josephine Caroline Lang noch eher bekannt, aber besonders die vier Vertreterinnen der Neuen Musik – Iris Szeghy (*1956), Cecilia McDowall (1951), Galina Grigorjeva und Marianne Wahl‑Stoll (1911–2012) – durfte ich erfreulicherweise kennenlernen.
Ensemble Horizons als solides Klangobjekt
Beim Hören von “Unerhörte Komponistinnen” fällt mir durchgängig auf, wie gut integriert die einzelnen Stimmen im Verbund des Ensemble Horizons agieren. Kompakt verschmelzen sie immer wieder zu einer Art Klangstamm, der durch die verschiedenen Stimmlagen zwar unterschiedliche Farbschattierungen zeigt, aber insgesamt zu einem soliden Klangobjekt wird. Dies erscheint am deutlichsten und wird besonders in den homophonen Chorsätzen Langs gefördert.

Für ein Projektensemble finde ich die Abstimmung schon sehr bemerkenswert. Matthias Klosinski schafft es vor allem durch akribische Synchronität in der feinen Dynamikarbeit, ein homogenes Klangbild zu erzeugen, und es ist fast verwunderlich, wie wenig einzelne Stimmen aus dem Gesamtverband hervorstechen. Selbst in den modernen Werken, die mehr Diversität in den Stimmführungen bieten, tritt das Ensemble Horizons immer als Einheit auf, und selbst die langen leisen Passagen der Männerstimmen in Iris Szeghys “The Prayer” klingen stets nach Ensemble Horizons. Chor und Chorleiter nutzen dies letztlich auch als verbindendes Element für das abwechslungsreich zusammengestellte Album, und ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass diese Eigenschaft insgesamt charakterbildend für den Chor sein könnte.
In den moderneren Stücken wird die Affinität des Chors für diese Epoche deutlich: Die Sänger*innen nutzen mit großer Gestaltungsfreude die erweiterten Möglichkeiten der Dynamik, um leise Spannung aufzubauen und durch interessante Halbsteigerungen Aufmerksamkeit zu erzeugen. So stellt das Ensemble Horizons die ungewohnten Erzählverläufe dieser Werke kunstvoll in den gotischen Raum der Kirche.

Charakter durch weiches Klangbild
Ähnliches geschieht auch bei den klassischen Werken von Josephine Caroline Lang, die durch präzise Lautstärkenplanung und -arbeit vom Kirchenraum eingehüllt und getragen werden. Verstärkt wird dies durch das insgesamt eher gedeckte Timbre des Chors, was zwar durchaus anders sein könnte, aber genau dieses weiche Klangbild passt sehr gut zum Charakter der Werke in dieser Aufnahme.
Auch wenn jedes weitere Album, das die Musik von Komponistinnen in den Fokus stellt, grundsätzlich begrüßenswert ist, kann diese Programmentscheidung natürlich kein Selbstzweck sein. Die weiterhin sehr wichtigen Aspekte der Ausführungs- und Aufführungsqualität liefert “Unerhörte Komponistinnen” uneingeschränkt, wodurch sich bei mir höchster Hörgenuss einstellte!
Titelfoto © Christian Palm


