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Einfach Klassik.

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In A Dream Cover

CD-Review: Eric Tanguy – In A Dream

Der Komponist Eric Tanguy ist neu in meinem Hörrepertoire, und es wurde höchste Zeit. Durch die Pianistin Suzana Bartal, die wir bereit im Interview hatten, und die auf Tanguys neuem Album “In A Dream” eine tragende, ausführende Rolle spielt, wurde ich glücklicherweise zu seinem Werk geführt. Seine ganz eigene Harmoniesprache fiel mir schnell auf, die mystische Räumlichkeit in seinen Stücken begeistert mich seitdem. Der französische Komponist ist seit vielen Jahren nicht nur in der dortigen Klassikszene fest etabliert, und seine Musik wurde häufig im großen Rahmen aufgeführt. 

Eric Tanguy, Foto © Vahan Mardirossian
Eric Tanguy, Foto © Vahan Mardirossian

Für “In A Dream” hat er kammermusikalische Werke aus seiner Feder, die zwischen 1999 und 2019 entstanden sind zusammengestellt, um einerseits eine große Bandbreite an Besetzungen und Stimmungen abzudecken, und andererseits seine Entwicklung zu dokumentieren. Mir fällt dabei besonders auf, wie konsistent trotzdem die Zusammenstellung als Album wirkt, denn die beteiligten Musiker*nnen kennt Tanguy schon lange, und durch die enge Verbindung, gelingt die Interpretation sehr sicher und wirkt wie aus einem Guss. 

Gerade der Beginn des Albums mit “Quintette pour piano et quatuor à cordes” gibt zum einen ein wunderbares Hörbeispiel um Eric Tanguys Stil kennenzulernen, zum anderen wird hier deutlich wie eindrucksvoll die Musik wirken kann, wenn die Ausführung eng an der kompositorischen Intention steht. Suzana Bartal spielt das Stück zusammen mit dem Quatuor Diotima. Diese Kombination aus dem blinden, über Jahre gewachsenen Verständnis der Quartettmusiker, zusammen mit dem verinnerlichten Gefühl der Pianistin, lassen die vielen traumhaften und erzählenden Bilder des Komponisten optimal entstehen. Die Streicher spielen die vielen Akkorverläufe, die durch verschiednen Harmoniken und Intervalle wandern wie eine einzige Stimme, sprechen sozusagen als eine einzige, polyphone Quelle. Bartal spielt dazu dann aber nicht einfach nur als Antipodin, sie fügt sich vielmehr nahtlos in das Quartett ein, und es ist erstaunlich, wie sehr sie sich mit einer gänzlich unterschiedlichen Klangvoraussetzung komplett in die Streicher einbetten kann. Dadurch macht letztlich sie die Ausführung des Stücks zu einem Quintett, anstatt einem Klavierquartett. Das erfordert viel Vorbereitung, Detailarbeit und Entscheidungsfreude, und Suzana Bartal scheint dafür mit ihrer Erfahrung als hochausgebildeter Pianistin im allgemeinen, und mit der Musik Tanguys im speziellen die Idealbesetzung zu sein. Durch seine attraktiven Harmoniken ist das Quintett ein ideales Werk, um die Musik des Komponisten kennenzulernen, und die Position am Anfang des Albums war eine äusserst kluge Wahl.

Quatuor Diotima
Quatuor Diotima

Bei der Konzeption des Albums hat sich Eric Tanguy offenbar für einen eher kontinuierlichen Verlauf, als für große Wechsel entschieden, denn im zweiten, dem Titelstück “In a Dream, pour violon et piano” wird die sehr stimmungsvolle, etwas hintergründige Atmosphäre fortgesetzt. Wunderbar fragil spielen dabei Suzana Bartal und Alexandra Conunova an der Violine die die raumgroßen, luftigen Sequenzen, die immer wieder von Mini-Kadenzen der Geige geprägt sind. Das gibt den Musikerinnen Freiheit im Vortrag ihre eigenen Wege zu gehen, und jeweils ihren eigenen Umgang mit der Musik zu erforschen, um dann im hinteren Drittel zu den markanten und eindrücklichen musikalischen Themen wieder zusammenzukommen und stark zu präsentieren.

Tanguys nachenklicher, träumerischer Stil gipfelt ein erstes Mal in “Nachtmusik, pour piano seul”, das er für Suzana Bartal geschrieben hat. Verhalten zunächst im Beginn steigert sich das Solostück dann mit mehr Intensität und immer verschränkteren Unterstimmen und Harmonien, wobei die Pianistin in einen äußerst kraftvollen, körperlichen Vortrag gehen kann. Mit Bedacht fährt sie dann zum Ende hin aber die Energie zurück, um dann wieder zu dieser leisen, zurückgenommenen Klangwelt zurückzukehren.

Ein weiterer, “typischer” Tanguy ist für mich “Lacrymosa, pour clarinette et piano”. Der Komponist verortet selbst in seinem Stück “schwebende Harmonien” und “seltsame Farben”. Letztere malt der Klarinettist Pierre Génisson sehr anschaulich, indem er mit Lust ungewöhnliche, aber nicht extreme Spieltechniken umsetzt, seine Klarinette gurrt und röchelt, geht aber nie ganz vom klassischen Klarinettenklang weg. Insgesamt werden in der Klarinettenstimme Entscheidungen offenbar, die für die gesamte Herangehensweise des Komponisten stehen. Er experimentiert, erweitert unser Harmoniespektrum, bringt uns mit ungewöhnlichen Abläufen und Formkonstruktionen in Kontakt, aber letztlich bleiben seine Stücke im großen und ganzen doch noch in der uns seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bekannten musikalischen Erlebniswelt. Und das macht für mich diese Musik so attraktiv und erlebenswert, erst recht, wenn Bartal und Génisson sich butterweich in Führung und Begleitung abwechseln, oder im nächsten Moment wieder als Duo agieren.

Suzana Bartal, Foto © Jean-Baptiste Millot
Suzana Bartal, Foto © Jean-Baptiste Millot

Des Weiteren gibt es sie aber doch, die etwas anderen Stücke auf dem Album. Dass Eric Tanguy auch energisch, ja vielleicht sogar etwas verbissen schreiben kann zeigen Suzana Bartal und Edgar Moreau in “Spirales, pour violoncelle et piano”, wenn sie sich die rastlose Führungsstimme immer wieder wie einen Staffelstab übergeben, und dann in der Begleitstimme unruhige, Ostinatostimmen betreiben. Dem gegenüber steht dann noch die “Sonata Breve, pour violon seul”, die erstmal viel klassischer im Sinne einer Violinsonate wirkt. Einzig die verwendeten Tonräume sind weiter gefasst, und werden in der Ausführung von Alexandra Conunova schön ausgespielt und betont.

Wer die Musik von Eric Tanguy noch nicht kennt, ist hiermit dringend eingeladen, dies nun mit “In A Dream” zu ändern, und die an der Aufnahme beteiligten Künstler*innen sind, allen voran Suzana Bartal, allemal hörenswert!

Die Tracks

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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