Was wäre, wenn sich Karol Szymanowski und Gabriel Fauré begegnet wären? Wir wissen nicht, ob es dazu mal gekommen ist. Doch getragen ist die Musik der beiden Tonschöpfer von einem vergleichbaren Aufbruchsgeist, der die kreative Unruhe an der Schwelle zwischen fin de siècle und früher Moderne verkörpert.Was dabei herauskommt, wenn sich die Geigerin Eva Zavaro und der Pianist Clement Lefebvre begegnen, offenbart hautnah die neue CD „Notturno“ dieses jungen französischen Duos, hautnah und ja: in durchaus spektakulärer Weise. Und natürlich ist das gleichnamige Charakterstück von Szymanowski auch in diesem Programm enthalten – aber dazu später.
Die Sonatenform aus der Vergangenheit scheint in den ersten Jahrhehnten des 20. Jahrhunderts gewissermaßen. Aber Fauré und Szymanowski erheben dieses Format nochmal einmal überzeugend zum Experimentierfeld, um die Schwingung ihrer Zeit musikalisch aufzubereiten. Faurés Sonate Nr. 2 in g-Moll von 1916 schrieb der französische Komponist im Alter von 72 Jahren, als er bereits mit fortschreitender Taubheit kämpfte und ihn die Schrecken des Ersten Weltkriegs umgaben. Zavaro und Lefebvre spüren dieser existenziellen Tiefe ohne Netz und doppelten Boden nach und lassen in ihrer Interpretation sowohl die Düsternis als auch das Ringen um spirituelle Erhebung spürbar werden. Noch mehr rückt Szymanowski in seiner Sonate d-Moll den Grenzen der Form zu Leibe, um einen Sturm der Leidenschaft zu entfesseln. Auch hier entfaltet sich das große Potential der Violine, die in Zavaro eine wandlungsfähige, ausdrucksstarke Interpretin findet. Ihre klangliche Farbigkeit und technische Präzision kommen besonders in den schnellen, intensiven Passagen zur Geltung, in denen sie von Lefebvres unerbittlich dynamischem Klavierspiel angetrieben wird.
Ein musikalisches Zeitalter im Umbruch
Wie anregend es sein kann, sich in freiere musikalische Ausdrucksformen vorzuwagen, zeigt sich in Szymanowskis „Notturno e Tarantella.“ Im Notturno, dem ersten Teil dieses Werkes, entfaltet sich ein geradezu träumerischer, fast halluzinatorischer Klangraum. Eva Zavaro lässt ihre Violine in weichen, gleichsam flimmernden Tönen mit den geheimnisvoll fließenden Harmonien verschmelzen, die Lefebvre dem Klavier entlockt. In der nachfolgenden Tarantella vollzieht sich dann ein dramatischer Stimmungswechsel – und den wissen Eva Zavaro und Clement Lefebvre überzeugend auszugestalten in exzentrischer Tanzform, die von diabolischer Energie durchdrungen ist. Lyrischer, aber umso subtiler bilden Gabriel Faurés Charakterstücke einen Kontrast in diesem Programm -zunächst mit seiner meditativ wiegenden Berceuse opus 16 und vor allem mit seinem vielgeliebten und gespielten „Après un rêve“, das in der Dramaturgie dieser CD wie ein inniger Abgesang auf ein musikalisches Zeitalter im Umbruch wirkt. In der ganzen kontrastreichen und hochexpressiven „Tour de Force“ dieses Programms, ist auf Eva Zavaro und Clement Lefebvre in jedem Moment Verlass. Beide agieren äußerst zupackend und gleichberechtigt, und dies mit imponierender technischer Brillanz, aus der heraus sich eine umfassende emotionale Tiefe entfaltet. Ausnahmecharakter hat auf jeden Fall Eva Zavaros Tongebung , die in jedem Moment durch eine bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit glänzt, wenn ihr Spiel mühelos zwischen Intimität und entfesselter Dramatik wechselt. Dabei lässt sie sich nur zu gern von Lefebvres Spiel mit seinen kreativen, oft unerwarteten Impulsen anstacheln. Das Spektrum an daraus resultierenden Wechselwirkungen ist riesig und lässt auf dieser CD für diese wahrhaft „große“ Musik einen einzigartigen Raum entstehen. Jede Geste und jeder Ton darf hier eine neue Facette der menschlichen Erfahrung enthüllen.