Einfach Klassik.

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CD-Review: Hans Rott – Wiedergeburt eines unbekannten Genies

Als Hans Rott am 25. Juni 1884 in Wien nach mehreren Selbstmordversuchen an den Folgen einer Tuberkulose verstarb, war er gerade einmal 25 Jahre alt. Sein Leben war eine einzige Tragödie. Dem ehemaligen Schüler Anton Bruckners und Kommilitonen Gustav Mahlers blieb eine musikalische Karriere zeitlebens verwehrt. Mit gerade einmal 20 Jahren schrieb er seine Sinfonie in E-Dur. Das Werk wurde jedoch bei der Vorstellung des 1. Satzes verhöhnt und verspottet. Einer von Rotts schärfsten Kritikern war Johannes Brahms. Infolge dessen wurden Aufführungen verweigert und ein in Aussicht stehendes staatliches Stipendium nicht gewährt. Rott nahm sich die Kritik so dermaßen zu Herzen, dass er daraufhin Wien verließ, um eine schlecht bezahlte Stelle als Musikdirektor in Mülhausen anzunehmen. Während der Zugreise dorthin bedrohte er einen anderen Fahrgast mit einem Revolver, weil dieser sich eine Zigarre anzünden wollte. Rott begründete sein Vorgehen damit, dass Brahms ihn töten wolle und den Zug mit Dynamit hätte bestücken lassen. Statt der angestrebten Chorleiterstelle erwartete ihn nun die niederösterreichische Landes-Irrenanstalt. Zwar war Rott noch in der Lage, weiterhin zu komponieren, vernichtete aber die meisten seiner Werke direkt nach Fertigstellung. Bei seiner Beerdigung musste sich Brahms von Anton Bruckner schwere Vorwürfe anhören und Hugo Wolf titulierte ihn gar als „Rotts Mörder“. Die Forschung geht jedoch davon aus, dass nicht Brahms der Auslöser für Rotts geistigen Zustand war, sondern eine bereits im Vorfeld vorhandene, nicht erkannte psychische Erkrankung. Trotzdem vermitteln die Ereignisse aber auch ein anderes Bild des seinerseits immer um Anerkennung bemühten Komponisten Johannes Brahms.

Hans Rott wiederentdeckt

Hans Rotts 1880 vollendete Sinfonie in E-Dur wäre wohl völlig in Vergessenheit geraten, wäre sie nicht gegen Ender der 1980er Jahre in den österreichischen Nationalarchiven wiederentdeckt worden. Die Erstaufführung fand 1989 statt, mehr als 100 Jahre nach Rotts Tod. Seitdem wird sie eher selten gespielt und es liegen auch im Verhältnis zu anderen Komponisten nur sehr wenige CD-Aufnahmen vor.

Cover

Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša war 2018 mit Vorbereitungen zu Bruckners 4. Sinfonie beschäftigt, als er bei seinen Recherchen auf Hans Rott aufmerksam wurde. Er studierte dessen Sinfonie in E-Dur mit Leidenschaft und der Gedanke, dieses Werk aufzunehmen, ließ ihn nicht mehr los. Mit seiner Schwärmerei für Rotts Musik weckte er die Begeisterung auch bei den Bamberger Symphonikern. Ein wahrer Glücksmoment, denn die Einspielung ist absolut fantastisch geworden. Hrůšas Verbundenheit zu dem Werk lässt Rotts Sinfonie wieder lebendig werden. Die Bamberger Symphoniker spielen mit Inbrunst und Liebe zum Detail. Beim alla breve höre ich deutlich Wagner heraus. Und auch Mahler muss hier Pate gestanden haben – könnte man meinen. Dem ist aber nicht so, denn bevor Mahler seine 1. Sinfonie schrieb, war Rott bereits tot. Zudem ist bekannt, dass Mahler Rotts Sinfonie kannte und sie eindringlich studiert hat. Jakub Hrůša baut schon im 1. Satz eine ungeheure Spannung auf und weckt die Neugier auf mehr. Das nachfolgende Adagio ist wunderschön und empathisch gespielt, das Scherzo geradezu ausgelassen und tänzerisch intoniert. Der Schlusssatz besticht durch enormen Einfallsreichtum und präzise Illustration. Zugegeben, insgesamt keine leichte Kost aber definitiv eine musikalische Entdeckung. Zumindest für mich, da ich die Sinfonie bislang nicht kannte und somit keine Vergleiche zu bereits erfolgten Einspielungen vorliegen. Die Idee der Bamberger, Rotts Sinfonie mit Werken von Mahler und Bruckner zu paaren, runden die Zusammenstellung der vorliegenden CD vollends ab. Insbesondere Bruckners symphonisches Präludium erinnert strukturell stark an Rott. Der transparente und homogene Klang der Aufnahme sei nur nebenbei erwähnt.

Fazit

Diese Neueinspielung von Hans Rotts Sinfonie in E-Dur ist ein absolut hörenswertes sowie preisverdächtiges Meisterwerk und gehört in jedes gut sortierte Klassik-Regal. Kaum auszudenken, was Rott uns hätte hinterlassen können, wäre er nur älter geworden. Seine letzte Ruhestätte existiert schon lange nicht mehr. Anders als Brahms wurde ihm kein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof zuteil. Lediglich eine kleine Gedenktafel, an einem fremden Stein anmontiert, erinnert an den Komponisten. Auch wenn sein musikalisches Oeuvre von nur geringem Ausmaß ist, verdient Hans Rott einen unverrückbaren Platz am Klassik-Himmel.

Rott Buch

Wer sich näher mit dem tragischen Schicksal von Bruckners Lieblings-Schüler befassen möchte, dem sei der im Picus-Verlag Wien erschienene historische Künstlerroman „Wie man ein Genie tötet“, von Ingvar Hellsing Lundqvist wärmstens empfohlen. Das spannend erzählte und gut recherchierte Buch verknüpft die über Hans Rott bekannten Tatsachen mit einer fiktionalen Handlung.

Titelfoto © Andreas Herzau

Das Album

Icon Autor lg
Kai Germann ist Pädagoge und war 15 Jahre lang Radiomoderator in unterschiedlichen Sendeformaten. Schon als Jugendlicher früh durch Oskar Werner inspiriert, hat er sich intensiv mit Poesie, Literatur und klassischer Musik auseinandergesetzt und auch selbst Klavier gespielt. Neben dem Schwerpunkt Wiener Klassik liebt er Musik in all ihren Facetten. Er schreibt Film-Rezensionen und Klassik-Reviews (Konzerte, CD-Neuerscheinungen, Buchbesprechungen), führt Interviews zum Thema Film, Theater, klassische Musik, und hält sich gerne in Salzburg auf. Kai Germann möchte mit seinen Beiträgen nicht nur Kenner, sondern auch Neueinsteiger jeden Alters für die vielen unterschiedlichen Facetten der klassischen Musik begeistern.
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4 Kommentare

  1. Herzlichen Dank Herr Germann für dieses tolle CD-Review von Hans Rott, es ist wirklich eine Wiedergeburt eines unbekannten Genies. Hans Rott kannte ich noch nicht, schön dass Sie dieses CD-Review veröffentlicht haben. Ich habe mir diese CD sofort bestellt nachdem ich bei Spotify reingehört habe. Es wird einer meiner liebsten CDs werden die ich habe. Nochmals herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg mit diesem Blog,

    1. Herzlichen Dank für den Kommentar. Ich denke, Hans Rott wäre stolz auf diese Einspielung. Ihre Entscheidung für einen physischen Tonträger ist zudem begrüßenswert. Bleiben Sie uns treu!

  2. Just happened to find this fine article and would like to thank for the warm words about my novel „Wie man ein Genie tötet“

    1. Dear Mr. Lundqvist,
      it was a great honor to read your comment and a pleasure, to enjoy your fine novel about Rott and his tragic fate. Thank you four your work in conjunction with the extensive research. I’m sure, you love the symphony as much as I do and I think Hans Rott would be proud to receive such recognition through your book.

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