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Herbert Blomstedt Cover

CD-Review: Herbert Blomstedt dirigiert Schubert

Um die Entstehung der 8. Sinfonie, „Unvollendete“ ranken sich bis zum heutigen Tag Legenden. Dieses Meisterwerk der Musikgeschichte besteht tatsächlich aus nur zwei fertig komponierten Sätzen. Zum gleichen Zeitpunkt (1822) arbeitete Schubert auch an einer weiteren Sinfonie, die heute als die 7. Sinfonie bekannt ist. Die Sachlage ist etwas verwirrend, da ursprünglich die „Unvollendete“ der Nummer 7 zugeordnet wurde. Es bleibt die Frage, ob Schubert überhaupt beabsichtigte, weitere Sätze zu komponieren oder eher die Meinung vertrat, dass den bereits zu Papier gebrachten Noten nichts mehr hinzuzufügen sei. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden, da Skizzen eines 3. Satzes aufgefunden wurden. Spekulationen, die restlichen Sätze seien verschwunden, gestohlen oder gar von Schubert selbst verkauft worden, konnten bis zum heutigen Tag nicht belegt werden. Bekannt hingegen ist, dass er häufig Probleme hatte, im Wirtshaus seine Zeche zu bezahlen und aufgrund seiner Schuldenlage kleinere Kompositionen zur Begleichung seiner Rechnung hergab. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass er Teile der „Unvollendeten“ irgendwelchen Gläubigern angeboten hat.

Schuberts Grosse C-Dur Sinfonie


Schubert war ein geselliger Mensch und hat gerne mit seinen Freunden im engeren Kreise gefeiert. Bei diesen Abenden brachte er häufig seine eigenen Kompositionen zur Uraufführung. Nach aktuellem Wissensstand ist jedoch davon auszugehen, dass er sowohl die „Unvollendete“, als auch die „Grosse C-Dur Sinfonie“ tatsächlich selber nie gehört hat, denn die Uraufführung fand erst 1865 statt, da war Schubert bereits 37 Jahre tot. Er starb 1828 mit nur 31 Jahren, wohl an den Folgen der Syphilis.

Herbert Blomstedt, Gewandhausorchester Leipzig, Foto © Jens Gerber
Herbert Blomstedt, Gewandhausorchester Leipzig, Foto © Jens Gerber

Herbert Blomstedt hat sich für sein Debüt bei der Deutschen Grammophon dafür entschieden, die letzten beiden Sinfonien von Schubert zusammen mit dem Gewandhausorchester Leipzig neu einzuspielen. Er ist momentan der dienstälteste Dirigent weltweit und feierte vor einigen Tagen seinen 95. Geburtstag. Die Menschen sind oftmals geneigt, sich vor dem Alter zu verbeugen und entsprechende Jubilare mit Lorbeeren zu überschütten, eben weil sie in hohem Alter noch mit scheinbar ungebrochener Vitalität quer über den Globus reisen. Herbert Blomstedt allerdings ist in jeder Beziehung eine Ausnahmeerscheinung. Ähnlich wie Günter Wand in seinen letzten Lebensjahren (man beachte dessen späte Bruckner-Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern) entwickelt Blomstedt wie zuvor schon mit seinen Brahms-Sinfonien eine ungeheure Dynamik, die gerade der „Unvollendeten“ einen intensiven Charakter verleiht. Das allegro moderato hat mich sowohl interpretatorisch als auch klanglich so dermaßen begeistert, dass ich den Satz mehrfach hintereinander hören musste. Blomstedt fängt die wehmütige Melodik des Stückes so ergreifend ein, dass Schuberts heiße Tränen förmlich spürbar sind. Dann durchbricht er die Ruhe des Satzes durch heftiges Aufbäumen und setzt damit die von Schubert vorgegebenen Kontraste bravourös und technisch perfekt um. Die wunderschöne Harmonik der Klarinette des andante con moto versucht dann, die Ruhe wieder herzustellen, doch das Drama nimmt unweigerlich seinen Lauf und Blomstedt vermittelt dem Hörer deutlich, dass hier der Schlusspunkt gesetzt ist. Und in der Tat entsteht nicht das Verlangen nach einem 3. Satz. Eine absolut hervorragende Einspielung mit deutlichem Referenz-Status.

Herbert Blomstedt mit Farbenreichtum

Auch bei der „Grossen C-Dur Sinfonie“ gelingt Herbert Blomstedt mit dem Gewandhausorchester ein Detail- und Farbenreichtum voll innerer Ausdruckskraft, Romantik und lyrischer Schönheit. Mit ungemeiner Akribie setzt er Details zu einem Ganzen zusammen und formt die Sinfonie in ihren üppigen Proportionen wie ein Baumeister aus.

Wenn Herbert Blomstedt dirigiert, dann ist er ein Diener der Musik. Möge er noch lange gesund bleiben und uns mit seiner eloquenten Klangsprache weiterhin verzaubern.

Die Tracks

Icon Autor lg
Kai Germann ist Pädagoge und war 15 Jahre lang Radiomoderator in unterschiedlichen Sendeformaten. Schon als Jugendlicher früh durch Oskar Werner inspiriert, hat er sich intensiv mit Poesie, Literatur und klassischer Musik auseinandergesetzt und auch selbst Klavier gespielt. Neben dem Schwerpunkt Wiener Klassik liebt er Musik in all ihren Facetten. Er schreibt Film-Rezensionen und Klassik-Reviews (Konzerte, CD-Neuerscheinungen, Buchbesprechungen), führt Interviews zum Thema Film, Theater, klassische Musik, und hält sich gerne in Salzburg auf. Kai Germann möchte mit seinen Beiträgen nicht nur Kenner, sondern auch Neueinsteiger jeden Alters für die vielen unterschiedlichen Facetten der klassischen Musik begeistern.
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