Der „Galante Stil“ bezeichnet vor allem jene Entwicklung vom Hochbarock zur frühen Klassik, die einem grundlegenden Paradigmenwechsel gleichkommt. Hier verdient vor allem das Verhältnis zwischen dem jüngsten Spross der Bach-Familie, Johann Christian Bach und dem jungen Wolfgang Amadeus Mozart Beachtung, vor allem ist dies auch in einschlägigen kammermusikalischen Meisterwerken, die daraus hervor gingen, unmittelbar dokumentiert. Die spanische Cembalovirtuosin Inés Moreno Uncilla hat sich nun genau diesem Sujet zugewandt, nachdem sie mit ihrem vorigen Release gerade noch tief in die Musikgeschichte ihres Heimatlandes eingetaucht war und wo sie außerdem eine dezidierte Klangforschung auf verschiedenen Cembali betrieben hat. Vielleicht sind es auch diese frischen Erfahrungen, die auch ihrem Folgeprojekt Opus V mit Werken von Mozart und Johann Christian Bach so viel Überzeugungskraft schenken?
Hier wurde ein Erbe weitergereicht
Es geht hier um die Ausformung „frühklassischer“ Musizierideale – Inés Moreno Uncilla und das Ensemble MINUÉ machen solche Aspekte in hellsichtiger Klarheit erfahrbar. Die Klangtreue dieser Aufnahme bietet dazu feinsten, audiophilen Hörgenuss. Blicken wir noch mal kurz auf die Musikgeschichte, die deutlich macht, wie fruchtbar es ist, wenn Menschen im richtigen Moment am richtigen Ort anderen begegnen, die sie weiterbringen. Der junge Wolfgang Amadeus Mozart wurde von seinem Vater schon im zarten Alter als Wunderkind überall international herumgereicht. Der Weg führte zwangsläufig nach London, das vor allem im frühen 18. Jahrhundert ein wichtigstes Zentrum in Sachen musikalischen Fortschritts fungierte und wo auch Johann Christian ein ideales Umfeld für Innovation und Ansehen gefunden hatte. Mozart begegnete dem älteren „Kollegen“ – und der war von Mozarts außerordentlichem frühreifen Talent gehörig beeindruckt. Die Folge liegt auf der Hand: Ein großes musikalisches Erbe wurde in verjüngter Form weiter gereicht, um in neuer Pracht und erweiterter Ausdrucksfülle bald ein neues musikalisches Zeitalter zu prägen.
Wie das alles heute klingt, machen Inés Moreno Uncilla und ihr Ensemble MINUÉ erfahrbar. Im Zentrum des Programms stehen drei Konzerte aus Mozarts KV 107, die sehr unmittelbar auf Sonaten von Johann Christian Bach basieren und exemplarisch den stilistischen Dialog zwischen diesen beiden Komponisten abbilden. Im Zusammenwirken dieses Ensembles mit seiner versierten Solistin lebt dann auch eine packende Symbiose aus der formalen Strenge des Barock und einer neuen Anmut, mit der sich die Frühklassik zu neuer Leichtigkeit bekennt. Als sehr aufgeräumt erweist sich die Interaktion zwischen Tastensolistin und Ensemble und überhaupt das Spiel mit Kontrasten. Prägnante, ausdrucksstarke Kadenzen stehen zartem gesanglichem Legato in den melodischen Themen gegenüber. Oft vermittelt eine Treppendynamik zwischen laut und leise und damit zwischen Nähe und Ferne. Die Streicher dieses Ensembles – Soko Yoshida und Tamami Sakanaga an den Barockviolinen sowie Johannes Kofler am Barockvioloncello – setzen mit breitem Vibrato einen überzeugenden Gegenpol. Alle gemeinsam sind dem Ideal einer hellwachen, vor Lebendigkeit sprühenden Klangrede bestens gewachsen. Man kann diese Zusammenarbeit guten Gewissens als makellos bezeichnen.
Überlegenes Potenzial, auch solistisch
Drei Solosonaten von Johann Christian Bach bilden einen wirkungsvollen Kontrast, da sie noch stärker in der polyphonen barocken Formensprache verankert sind und vor allem die ganze Bandbreite des spielerischen und gestalterischen Vermögens dieser Musikerin ins rechte Licht setzen, zum Beispiel auch, wenn es um eine hervorragende Ausbalancierung der tiefen mit den hohen Klangregistern geht. Aber auch wenn es bei Johann Christian Bach manchmal so verspielt und melodiös kantabel wird, dass man hier schon Vorgriffe auf Mozart verorten kann, zeigt sich in jedem Moment Inés Moreno Uncillas überlegenes Potenzial auf dem Instrument, wie sie die Töne perlen lässt, dass es den Hörer in seinen Bann zieht. Neben einer tiefen Verbundenheit mit dem Instrument wird hier eine Kenntnis der historischen Aufführungspraxis verstehbar, welche Ines Moreno an der renommierten Schola Cantorum Basiliensis unter der Anleitung von Andrea Marcon erworben hat.