Was haben eine Blockflöte und ein Hubschrauber gemeinsam? Ich weiß es nicht. Dennoch hat sich der Schweizer Flötist Isaac Makhdoomi entschieden diese beiden Themen auf dem Cover seiner neuen CD „Vivaldi: Concerti per Flaute e arie“ zusammen zu bringen. Angeblich wollte er dem oftmals etwas unspannenden Image des Instrumentes etwas cineastische Aufregung gegenüberstellen. Eine Gemeinsamkeit gibt es aber vielleicht doch, sowohl Flöte als auch Fluggerät wollen hoch hinaus.
Das ist aber bei weitem nicht das einzige Attribut, das Makhdoomi auf dem Album betonen will. Die fünf Flötenkonzerte von Antonio Vivaldi spielt der Flötist zusammen mit seinem eigenen „Ensemble Piccante“, Barockspezialist*innen aus der Baseler Musikszene. Hinzu kommen dann noch zwei Arien, zusammen mit dem Countertenor Arnaud Gluck.
Abgestimmte Herangehensweise
Grundsätzlich fällt die gemeinsame Gründungsgeschichte von Solist und Ensemble musikalisch schnell auf, nicht nur in der spielerischen Passgenauigkeit, sondern auch in der gemeinsam abgestimmten Herangehensweise. Jetzt könnte ich natürlich schreiben, dass die Musiker*innen Vivaldis Musik fröhlich und kunstvoll epochengerecht darreichen, und damit eine solide und nette Vivaldi-CD geschaffen haben. Und fertig.
Aber so ist es bei diesem Album nicht! Alle Beteiligten gehen mit so viel Verve und entfesselter Energie zu Werke, dass ich beim Hören das Gefühl habe, als würde ich gemeinsam mit den Musiker*innen in die Sonne stürzen. Allein das Ensemble überholt sich im Spiel dieser sowieso schon hochanspruchsvoll schnellen Musik ständig selbst. Die Instrumente krachen und bersten an manchen Stellen, und ihre Spieler*innen agieren als gäbe es kein morgen. Das klingt jetzt mehr nach einem Unfall, aber weit gefehlt. Die Mitwirkenden behalten immer volle Kontrolle, nicht nur über die Technik, sondern auch über die Interpretation. Und sie zeigen Vivaldis Musik damit aus einer mir neuen, sehr ungeschliffenen und ungezügelten Perspektive.
Isaac Makhdoomi fordert heraus
Allen voran schreitet dabei aber natürlich Isaac Makhdoomi, dessen Spiel ich schon als halsbrecherisch bezeichnen muss. Nun ist das bei diesen Konzerten in gewisser Weise werkimmanent. Alle, die diese Stücke spielen, müssen auf ähnlichem technischen Niveau sein. Aber Makhdoomi kriegt das eben nicht einfach nur hin, und er brilliert auch nicht einfach im Vortrag. Er fordert heraus, ständig, in jeder Note, sowohl Hörer*nnen als auch die Musik, indem er mit seiner künstlerischen Persönlichkeit konfrontiert, und indem er mehr von seinem Vortrag will, als nur eine weitere Vivaldi-Einspielung.
Das wird vor allem in den langsamen Sätzen der Konzerte offenbar, denn die bringt der Flötist nicht süß träumerisch. Falls Sie diesen Vivaldi suchen, dann werden Sie enttäuscht. Makhdoomi spielt auch hier so eindringlich, setzt die langen ruhigen Töne mit ruhelosem Druck, verharrt nicht in einem Interpretationsgefühl, sondern bleibt auf der Suche. Und er bleibt in der Entwicklung eines jeden musikalischen Abschnitts, indem er logische Verläufe bildet, und mit langen Gestaltungsbögen übergeordnete Rhythmuskonstrukte erschafft. Selbst in langsamen Passagen bleibt man beim hören hellwach und hochkonzentriert, um keins der vielen unerwarteten Gestaltungsdetails zu verpassen.
Antipode und Partner
Im „Largo“ des Konzert in c-moll, RV441 erlebt man dann noch die Begabung Aller für Melodieführung. Es ist wirklich beeindruckend zu beobachten, wie kunstvoll Melodien inmitten des wuseligen Vortrags in klugen ad hoc Kooperationen herausgearbeitet werden, und wie diese Elemente dann zu größeren Zusammenhängen verschraubt werden. Isaac Makhdoomi bleibt dabei emotional vielseitig und wandlungsfähig, immer vor dem Hintergrund seines Ensembles, das mit kontrollbefreiter Anschlagtechnik und teils überraschenden Dynamikveräufen stellenweise Antipode, insgesamt aber perfekter Partner ist.
Alle Musiker*innen haben hier ein Album geschaffen, das mehr als ein heißer Tipp für Klassik- und Vivaldi-Freunde ist. Es überschreitet Grenzen und plakatiert Kontroversen. Legen Sie diese Platte auf wenn Besuch da ist, dann entsteht wahrscheinlich ein Gespräch darüber. Vielleicht ein Meilenstein unter Klassikalben.