Schon nach den ersten Klängen dieser neuen Mahler-Einspielung mit Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“ – wohl zum Abgründigsten gehörend, was je für Gesangsstimmen geschrieben wurde –, in der sich zweifacher Gesang und der aberwitzig schwierige Klavierpart zur untrennbaren Einheit verbinden, verblasst die banale Welt da draußen. Als die neue CD von Katharina Kammerloher, zusammen mit dem Tenor Arttu Kataja und Pianisten Eric Schneider ihren Weg in den Player fand, wurde bei den ersten Tönen offenbar: Das wird ein Abendprogramm. Hier geht es um eine tiefe künstlerische Reflexion über Krieg und Frieden, Liebe und Tod – Wahrheiten, denen sich die drei Interpreten mit einer erschütternden Direktheit stellen.
Mitlesen des begleitenden Textbooklets ist hier Pflicht, denn damit erschließt sich die Primärquelle: Romantische Originaltexte von Chamisso und von Arnim, die Mahler ganz bewusst für seine Vertonungen zwischen 1892 und 1901 wählte. Diese Lieder sind viel mehr als Volkslieder oder -gedichte, sie handeln von Liebe und Verlust, von Elend und existenzieller Bedrängnis – und immer wieder von Krieg und Tod.
Ausgewogenheit zwischen weiblicher und männlicher Stimme
Katharina Kammerloher, Arttu Kataja und Eric Schneider haben für diese Aufnahme ihre eigene, dramaturgisch durchdachte Auswahl getroffen. Von heiteren Themen, die immer eine tiefere Ebene von Gesellschaftskritik eröffnen, geht es über schonungslos ehrliche Statements zur Liebe bis hin zu Mahlers erschütternden Soldatenliedern mit ihrer – leider hochaktuellen – pazifistischen Botschaft. Mahler hat keine Vorgaben gesetzt, wer hier was singen soll. Die Wechsel zwischen weiblicher und männlicher Stimme sowie einigen Duetten wurden also auch hier ganz an der emotionalen Textur dieser Stücke ausgerichtet. Erzählerisches bleibt dabei konsequent solistisch, während aus dialogischen Parts intime und faszinierend unmittelbare Kammerspiele wurden.
Die emotionale Palette reicht von der erschütternden Verzweiflung in „Aus! Aus!“ mit seinen spannungsgeladenen Dur-Moll-Wechseln über die „Fischpredigt“ mit ihrem tiefschwarz-sarkastischen Humor bis zur intimen Tragik von „Das irdische Leben“, wo Kammerlohers wandlungsfähiger Mezzo die Geschichte eines verhungernden Kindes in herzzerreißender Schlichtheit erzählt. Die Duette enthüllen verschiedenste Schattierungen menschlicher Beziehungen, sei es das kokette Werben in „Verlorne Müh'“, das sich unter Schneiders subtiler Agogik zu verzweifeltem Flehen wandelt oder die gespielte Leichtigkeit getrennter Liebender in „Trost im Unglück“. Der oft sarkastische, zuweilen wunderbar fratzenhaft verzerrte Humor blitzt auf, wenn im „Lob des hohen Verstands“ ein selbstgefälliger Esel zum Kunstrichter wird.
Man muss diese Aufnahme in einem durchhören
Noch stärker lassen es Katharina Kammerloher, Arttu Kataja und Eric Schneider danach ans Eingemachte gehen. „Wo die schönen Trompeten blasen“ lässt Liebessehnsucht und Todesahnung zu einem nächtlichen Zwiegesang verschmelzen, bis Eric Schneiders lautmalerisch in die Flügeltasten gehämmerte kriegerische Fanfaren diese intime Welt zerreißen. Im „Tamboursg’sell“, dieser verzweifelten Klage eines zum Tode Verurteilten mit seinem schier endlosen Marsch, verdichtet sich diese existenzielle Spannung weiter, bevor das abschließende „Urlicht“ – später Teil der 2. Sinfonie – in betörender Schlichtheit alle Zeitlichkeit transzendiert.
Die beiden Sänger von der Berliner Staatsoper durchmessen diese weiten emotionalen Räume mit einer stimmlichen Eindringlichkeit und Präsenz, die nie forciert wirkt – allein die Unangestrengtheit, mit welcher diese teils extreme, nie gekünstelt wirkende Gesangskunst daherkommt, weckte das Bedürfnis, diese CD in einem durchzuhören. Das alles wäre nichts ohne das intensive, wandlungsfähige, oft orchestrale und immer wieder weit aus der Diktion des 19. Jahrhunderts hinauswachsende Klavierspiel Eric Schneiders, der dem aberwitzig schwierigen Klavierpart Dramatik und Ausdruck abringt.
„Das Einfache geht am tiefsten in die Seele hinein“, beschreibt Kammerloher ihren eigenen Zugang zu diesen Liedern, aus denen schließlich so viel aufrichtige Überzeugungskraft hervorgegangen ist, wie sie diese neue Aufnahme entfaltet. Was hier entsteht, ist ein faszinierendes Panoptikum menschlicher Existenz, das heute niemanden kalt lassen dürfte. Aufgenommen wurde übrigens im ostwestfälischen Kloster Marienmünster und dieser akustische und atmosphärische Rahmen erwies sich ebenfalls als Inspirationsquelle. Genau das prägt die Aufnahmephilosophie des Detmolder Labels Dabringhaus und Grimm.