Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Linda van Coppenhagen Cover

CD-Review: Linda van Coppenhagen – HEIMWEE

Die Sehnsucht kennt viele Sprachen, doch ihre tiefste Resonanz findet sie in der Musik. Linda van Coppenhagen, deren Wurzeln im sonnendurchfluteten Johannesburg liegen und die heute unter deutschen Himmel ihre künstlerische Heimat gefunden hat, verwandelt in ihrem Debütalbum „Heimwee“ dieses universelle Gefühl in einen berührenden Dialog zwischen Kulturen. Als die Pandemie die Welt zum Stillstand brachte und geografische Distanzen unüberwindbar schienen, destillierte die Sopranistin aus ihrer eigenen Sehnsucht nach der südafrikanischen Heimat ein musikalisches Zeugnis von zeitloser Gültigkeit.

In dieser Aufnahme begegnen sich nicht nur verschiedene musikalische Welten – die gewählte Besetzung eröffnet zudem eine erweiterte klangliche Dimension: Die Klarinette wird hier zur zweiten Singstimme, die der menschlichen Stimme mal als Dialogpartnerin, mal als Seelenverwandte zur Seite steht. Besonders in Spohrs Liedern und Schuberts „Hirt auf dem Felsen“ entfaltet sich ein subtiles Zwiegespräch, in dem die Klarinette jene Gefühlsebenen zum Klingen bringt, die sich dem gesungenen Wort entziehen. Auch diese rare kammermusikalische Konstellation von Gesang, Klarinette und Klavier verleiht dem Album eine ganz eigene Intimität.

Die emotionale Spannung wird behutsam gesteigert 

Louis Spohrs „Sechs Deutsche Lieder“ op. 103 eröffnen diesen musikalischen Dialog. In diesem feinfühligen Kammerspiel findet van Coppenhagen in der Klarinettistin Friederike von Oppeln-Bronikowski und dem Pianisten David Grant ideale Partner auf Augenhöhe. Bereits das Eröffnungslied Sei still mein Herz offenbart die sublime Dialogstruktur zwischen Gesang und Klarinette: Deren prägnantes Motiv drängt sich nie in den Vordergrund, sondern verstärkt behutsam die emotionale Spannung, die van Coppenhagen mit großer Ausdruckskraft gestaltet. In den folgenden Stücken wird die Klarinette zur ebenbürtigen zweiten Stimme, die das Unaussprechliche hinter den Worten zum Klingen bringt – besonders eindringlich im Zwiegesang, wo sich beide Stimmen in vollendeter Balance begegnen. Van Coppenhagen meistert sowohl die dramatischen Höhepunkte dieses Werkes als auch die verhaltene Intimität des Heimlichen Lieds, in dem die Klarinette die verborgenen Gefühlswelten des Textes atmosphärisch verdichtet.

Linda van Coppenhagen
Linda van Coppenhagen

Einen besonderen Schatz hebt das Album mit der hierzulande kaum bekannten südafrikanischen Kammermusik, deren Tradition trotz der düsteren Schatten der Apartheid eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt birgt. Stephanus Le Roux Marais, tief verwurzelt in der musikalischen Seele Südafrikas, erweist sich hier als bedeutende Stimme. Das titelgebende Heimwee wird unter van Coppenhagens Interpretation zum ergreifenden Spiegel jener Sehnsucht, die sie selbst während der Pandemieisolation so intensiv erfuhr. Ihre interpretatorische Tiefe, besonders in den melancholischen Zwischentönen, verleiht dem Werk eine bewegende Authentizität.

Zeitloses Mahnmal sozialer Ungerechtigkeit 

Einen kraftvollen Kontrapunkt setzt Mali die slaaf se Lied, das die schmerzhafte Geschichte der Sklaverei in Südafrika thematisiert und als zeitloses Mahnmal sozialer Ungerechtigkeit erklingt. Marais findet hier eine musikalische Sprache von erschütternder Direktheit für die Wunden seiner Nation. Hoffnung und Aufbruch hingegen durchströmen Geboorte van die Lente (Geburt des Frühlings), dessen sprudelnde Melodien und vitale Rhythmik die Kraft der Erneuerung feiern. Van Coppenhagen und David Grant setzen diesen Lebensmut mit mitreißender Energie um.

Eine besondere Facette fügt Richard Strauss‘ Schlechtes Wetter hinzu, das die Atmosphäre eines düsteren Regentags in Klang verwandelt. Die prasselnden Klaviertriolen, die wie ein schwerer Regenschauer auf den Hörer niedergehen, bilden die Grundlage für van Coppenhagens virtuose Interpretation, die die lautmalerische und expressive Kraft der Komposition voll ausschöpft.

Als krönender Abschluss verschafft sich wieder die Dreierbesetzung inklusive Klarinette Gehör. Franz Schuberts Der Hirt auf dem Felsen – ein dramatisches Finale, das den vokal-instrumentalen „Dialog zu dritt“ zwischen Sopran, Klarinette und Klavier noch einmal zu höchster Blüte treibt. Im Frühjahr 1828, kurz vor seinem Tod entstanden, verdichtet dieses Werk die Einsamkeit und Sehnsucht eines Hirten, der von seiner Bergeshöhe in die Ferne blickt. Van Coppenhagen und ihre Mitmusiker entfalten meisterhaft jene innige Verschmelzung von Naturerleben und Liebesempfindung, die Schubert hier in Wort und Ton so unvergleichlich gestaltet hat.

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
Dots oben

Das könnte Dir auch gefallen

Dots unten
Dots oben

Verfasse einen Kommentar

Dots unten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Icon Mail lg weiss

Bleib informiert & hol dir einen
exklusiven Artikel für Abonnenten