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Einfach Klassik.

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CD-Review: Lydia Maria Bader – Chinese Dreams

Wenn Künstler*innen eigene Ideen mit hohem Risiko selbst umsetzen, dann beeindruckt das nicht nur mich. Von der Kunst zu leben ist schon ausserhalb der aktuellen Situation ein Höllenritt! Da ist der “Dienst nach Vorschrift” mit eigener Konzert- oder Lehrtätigkeit bereits Wagnis genug. Zusätzliche Projekte in Form von Veröffentlichungen sind weitere Belastungen, die Raum brauchen, den es meistens gar nicht gibt. Dennoch sind sie für Künstler*innen absolut notwendig, um sich selbst präsentieren zu können, und damit die Hauptbetätigung am laufen zu halten.

Neue Idee

Lydia Maria Bader ist derzeit eine der sehr beachteten Pianistinnen, und laut Rückmeldungen auf ihren zehn Tourneen durch China ist sie die “German Piano Princess”. Zehn Tourneen? Ja, richtig gelesen. Nach langen Jahren internationalen Konzertierens, ist sie irgendwann auf diese Idee gestossen, diese tolle Passform, ihrer Paradedisziplin, der westlichen Klassik, gemischt mit Zugaben aus chinesischen Traditionals. Aufgrund des großen Erfolgs folgte dann eine Tournee auf die nächste, und das hinterliess logischerweise Spuren. Bader interessierte genau dieses Aufeinandertreffen von westlicher Vorstellung über chinesische Tradition, und tatsächlich traditionellen, chinesischen Melodien. Daraus erwuchs ihr neues Veröffentlichungsprojekt: Chinese Dreams. 

Wenn man nicht bedeutendere Geldgeber oder große Labels im Rücken hat, dann ist eine CD-Produktion eine große finanzielle Herausforderung. Daher entschied sich Lydia Maria Bader ein Crowdfunding-Projekt aufzusetzen, um zusätzliche Unterstützung zu gewinnen, und mit intensivem Einsatz brachte sie das Projekt auch zum Erfolg. 

Chinese Dreams
Lydia Maria Bader, Bild von Kaupo Kikkas

Bei der Auswahl der Stücke für das Album ist auf der Seite chinesischen Ursprungs  zum Beispiel der in seiner Heimat hochgeschätzte Songwriter Wang Luobin, mit dem Lied „In that place wholly faraway”, welches ursprünglich aus der westchinesischen Provinz Qinghai stammt. Bader leitet damit ihr Album schon sehr bestimmt ein, spielt melodieerzählend und setzt mit den prägnant gespielten Verzierungen deutliche Akzente. Dabei konzentriert sie sich in den technischen Details sehr auf Authentizität, spielt die vielen, schnellen Melodieläufe mit größtmöglichem Legato, damit dieser harfenähnlliche Verwischungseffekt entsteht, um dann aber gleichzeitig mit den versetzt gespielten Zweitonkaskaden auch westliche Romantik zum Vorschein zu bringen. 

Melodien Satt!

In der Ballettmusik zu “The Mermaid” von Du Mingxin rückt eine weitere Qualität dieses Albums deutlich in den Vordergrund: einprägsame Melodien. Gerade der “Coral Dance” nistet sich mit manchen musikalischen Themen im Gedächtnis ein. Lydia Maria Bader betont dabei gerne den Wechsel aus impulsreichen Akzenten und nachdenklich, langsam aufgebauten Melodiebögen. In “Dance of the Waterweeds“ aus der Suite führt die Pianistin diesen Charakter weiter, erarbeitet aber die auf ruhige Weise raumgreifenden, langen Verbindungen dieses Satzes, mit sehr zielgerichteter Dynamiksteuerung im Anschlag. Im tänzerischen “Straw Hat Dance” balanciert Bader die lebhaft konkurrierenden Einwürfe beider Hände geschickt, was einige Planung erfordert.

Ein weiterer traditioneller Teil des Albums sind drei Stücke des chinesischen Komponisten Wang Jianzhong. “Silver Clouds Chasing the Moon” bietet das vielleicht einprägsamste Thema der CD. Lydia Maria Bader spielt hier, am Ende des Albums mit zurückgelehnter Übersicht, lässt die Melodien luftig, mit ihren vielen, technisch verspielten, aber maßvoll intonierten Verzierungen für sich stehen, um sich dann doch noch zu einer opulenten Steigerung zu entwickeln. In “Liuyang River” erweitert sich diese Konzentration auf Ornamente und wasserfallartige Tonläufe sogar noch, wobei sich auch hier irgendwann wieder diese starken, ikonischen Melodien teilweise sogar über Unterstimmen in den Vordergrund arbeiten.

Auf der Seite der westlichen Sicht auf chinesische Musikkultur, stehen die “Three Chinese Pieces” von Abram Chasins, gleich mit eher nachdenklichen Phrasen, die die Pianistin besonders deutlich darstellt. Klar wird aber im Vortrag auch, dass es hier schon um westliche Musik geht, die mit feststehenden Vorstellungen östlicher Traditionen “gewürzt” wurde. Dabei spielt die solide Sozialisation in westlicher Klassik als feste Basis der Pianistin in die Karten.

Nicht anders verhält sich das bei “Lotus Land” von Cyril Scott. Das Stück zählt zu den wenigen populären Werken des Komponisten, Poeten und Autors. Und da erreicht das Album dann eine versonnene „Lass und in ferne Länder träumen“-Stimmung, die natürlich sehr erfüllend sein kann. 

Raum und Luft

Mit Walter Niemanns „Alt China“ bringt Lydia Maria Bader ein fünfteiliges Werk der Romantik mit in die Auswahl, dessen “exotische Bezüge” allenfalls erahnt werden können, das dafür aber mit starken romantischen Melodien und Themen begeistern kann, die die Pianistin mit viel Raum und Luft zwischen den Noten interpretiert, und so der Musik die notwendige Nachdenklichkeit und Schwere mitgibt. Vor allem in “Die Glocken der Pagode” ist es diese eine, bestimmende Melodie, dessen Kraft und Eindrücklichkeit Bader fein herausarbeitet.

Auch wenn das Thema des Albums zunächst speziell erscheint, so ist die Musik darauf jedoch immer gut hörbar, gleichzeitig unterhaltsam und entspannend. Die Pianistin bringt durch ihr Spiel die Intention der  Veröffentlichung auf den Punkt, und sie kann zudem ihre Virtuosität ausspielen. Eine kluge Themenwahl, die sowohl Stärken als auch eigene Geschichte der Musikerin betont.

Und jetzt seid ihr am Zug. Zwar wird das Album noch digital verfügbar, aber es hilft Lydia Maria Bader am meisten, wenn man die CD direkt in ihrem Shop bestellt. Dazu geht es hier entlang. 

Trackliste

Wang Luobin, arr. Zhang Zhao (1913-1996) (*1964)
1 In that place wholly faraway

Du Mingxin, arr. Wu Zuqiang (*1928) (*1927)
Ballett-Suite “The Mermaid”
2 Coral Dance
3 Dance of the Waterweeds
4 Straw Hat Dance


Wang Yu Shi, arr. Lin Eryao (1928-2009) (*1939)
5 Sunflower


Abram Chasins (1903 – 1987)
Three Chinese Pieces
6 A Shanghai Tragedy
7 Flirtation in a Chinese Garden
8 Rush Hour in Hong Kong


Cyril Scott (1879 – 1970)
9 Lotus Land op. 47,1
Chu Wanghua (*1941)
10 Kangding Love Song
11 Quiz Song


Walter Niemann (1876-1953)
Alt-China Fünf Traumdichtungen op. 62
12 Die Glocken der Pagode
13 Chinesische Nachtigall
14 Die kleine Li-li-tse
15 Die heilige Barke
16 Fest im Garten


Wang Jianzhong (1933-2016)
17 Silver Clouds Chasing the Moon
18 Liuyang River
19 Glowing Red Morningstar Lilies

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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