„Ne Platte mit romantischer Klaviermusik“, höre ich einen fiktiven Kurzhörer von „Salon de Ravel“ der Pianistin Marina Baranova etwas abschätzig zusammenfassen. Dieser für viele andere Alben möglicherweise geltende Stempel ist aber im Fall des vorliegenden Albums so oberflächlich, dass er nicht nur nicht richtig ist, er ist auch noch falsch! Denn bei ihrem Salonkonzept für das Album durchreist Marina Baranova einen weitaus größeren Epochenbereich als nur die Romantik, auch wenn sie Werke von Maurice Ravel als Ankerpunkt gesetzt hat. Mein Lieblingsstück von ihm ist generell mein Lieblings-Klavierstück – die „Jeux d’eau“, unspielbar und unerreichbar für mich stümpernden Hobbypianisten. Das Prädikat „unspielbar“ tragen viele von Ravels Stücken, und Marina Baranova könnte sie natürlich alle locker spielen. Tut sie aber nicht. Sie hat sich auf „Salon de Ravel“ der einfacheren Literatur des Komponisten gewidmet, eine Entscheidung, die ich sehr begrüße!
Ausgeklügeltes Konzept
Die Pianistin veranstaltet in Hannover selbst Salonkonzerte, in Erinnerung an die musikalischen Zusammentreffen in ihrem Elternhaus. Nun hat sie auch den Rahmen einer CD als Salonkonzert genutzt, bei dem verschiedene Komponist*innen (darunter auch sie selbst) mit ihren zusammenkommen. Aber nicht nur das. Bei musikalischem Austausch nimmt man aufeinander Bezug, und so wählte Marina Baranova Stücke aus, in denen die Komponist*innen Referenzen zueinander legen. Ein ausgeklügeltes Konzept, das beim Hören wunderbar funktioniert.
Da folgt Alexander Borodins „Mazurka from ‚Petite Suite‘“ Ravels „À la manière de Borodine“, da folgt Ravels „Menuet sur le nom d’Haydn“ dem Finale aus der „Piano Sonata in D-Dur“ des Genannten. So greifen die Stücke ineinander wie ein Dialog über Musik, mit Fragen und Antworten. Und Marina Baranova verschränkt sie auch in ihrem Spiel, arbeitet Gemeinsamkeiten heraus und schafft meisterhaft diese interpretatorische Räumlichkeit in Tongestaltung und Agogik. Überhaupt ist es bemerkenswert, wie sie mit der Anschlagtechnik ihres hochwertigen Instrumentes arbeitet. Der Standard für Produktionen wie diese sind ja oftmals Flügel der Firma Steinway, aber dieser klingt so gar nicht danach. Aber dazu komme ich noch.
Ich finde es ein ums andere Mal erfrischend, dass die Pianistin sich auf „Salon de Ravel“ nicht in technischen Höhenflügen verliert, dass sie sich nichts beweisen muss, sondern einfach musizieren will. Das schafft tatsächlich eine gesellige Atmosphäre. Deutlich wird das zum Beispiel bei „Menuet sur le nom d’Haydn“, das streckenweise richtig heimelig wirkt. Wieder übertreibt Marina Baranova dabei romantische Gestaltungstechniken nicht, sondern spielt auf die Schönheit und Geselligkeit der Musik hin, so als würde sie für Freunde spielen.
Marina Baranova ruht in sich
Das „Scherzo – Valse“ von Emmanuel Chabrier legt die Pianistin ganz locker und verspielt auf die Klaviatur, verzichtet auf Größeneffekte in den weiten Tonläufen, sondern balanciert stattdessen perfekt die einzelnen Melodieteile und Harmonieelemente aus, so dass die wichtigen Strukturen des Stücks zur Geltung kommen, und das alles in einer wie in einer Schiffschaukel wiegenden Gesamtrhythmik.
Diese bestechende Einfachheit, die Marina Baranova für fast das komplette Programm des Albums als Auswahlkriterium gesetzt hat, findet einen kleinen Höhepunkt in Gabriel Faurés „Pavane“, das ein meisterhaftes Beispiel für die simple Schönheit ist, die die Musik des Komponisten charakterisiert. Die Pianistin ruht dabei spielerisch sehr in sich, ist bei einer musikalischen Zufriedenheit angekommen, die sich wunderbar auf mich als Hörer übertragen kann.

Die einladende Atmosphäre auf „Salon de Ravel“ basiert zum Teil auch auf dem warmen Klang, den Marina Baranova mit ihrer präzise kontrollierten Spieltechnik erzeugt, perfekt auf das verwendete Instrument eingestellt. Ich rätselte, ob das ein Bösendorfer oder doch ein Fazioli-Flügel ist. Da im Booklet der CD nähere Informationen dazu fehlen, fragte ich nach und durfte lernen, dass es sich hier um ein Pianoteq von der Firma Modartt handelt. Nie gehört das Fabrikat? Das könnte daran liegen, dass es ein virtuelles Instrument ist, bei dem auf einem Computer mittels Physical Modelling die physikalischen Eigenschaften eines Flügels simuliert werden. Ein Sakrileg für eine Klassikaufnahme? Vielleicht? Vielleicht lernen wir hier aber auch, dass es bei der uns heute zur Verfügung stehenden Technologie und vor allem bei unseren Abhörmöglichkeiten im Alltag nicht mehr so sehr um althergebrachte Ideologien geht und eine Öffnung für Neues Vorteile bringen kann.
Hut ab, Marina Baranova!
Titelfoto © Irène Zandel