Die in New York lebende Komponistin Missy Mazzoli ist ein Superstar. Viele reden über sie, viele spielen ihre Musik. Also ein lukratives Thema für einen Blogartikel? Tatsächlich brauchen wir Mazzolis Startum dringend, gerade Komponistinnen von denen wir wissen, dass ihre Musik bleiben wird tun unserer Kultur sehr gut.
Missy Mazzoli bleibt
Auf der vorliegenden, gleichnamigen CD bei BIS Records wurden Orchesterwerke Mazzolis kombiniert, wobei das Violinkonzert “Dark with Excessive Bright” am Anfang und am Ende des Albums in zwei Versionen auftaucht, die beide von Peter Herresthal als Solist gespielt werden, jedoch begleitet ihn in der Variante für Streichorchester das Bergen Philharmonic Orchestra unter James Gaffigan, in der Kammerversion am Schluß sind es dann Musiker*innen des Arctic Philharmonic Orchestra. Das am weitesten im Norden beheimatete Berufsorchester bestreitet auch die anderen Teile des Albums.
Ein Werk bei einem Konzert zweimal zu spielen ist gerade etwas in Mode, hier sind es natürlich unterschiedliche Fassungen des Violinkonzertes, aber der unterschiedliche Zuschnitt und die Besetzung aus zwei verschiedenen Orchestern ist weitaus spannender als ich gedacht hätte. Das Bergen Philharmonic spielt die Orchesterversion mit seiner aktuell hohen Eingespieltheit souverän nach Hause, lässt das vieldimensionale und emotionsgeladene Werk strahlen und dann wieder undeutlich schimmern, und gibt Herresthal das perfekte Fundament zur Verwirklichung der vielen erzählerischen Visionen die sowohl Musiker*innen als auch Komponistin wie Spielbälle zwischen sich hin und her zu jagen scheinen. Mazzolis Musik wird sehr oft als durchweg cineastisch beschrieben, das mag sie auch sein, für mich rutscht sie aber vielleicht durch die Ausführung dieser beiden Nordeuropäischen Orchester eher in die Kompositioonstraditionen der skandinavischen Meisterkomponisten, mal grüßt Vasks, mal winkt Sibelius, aber immer bleibt es natürlich Mazzoli. Dennoch gefällt mir dieser Versuch der Dimensionserweiterung durch die Ausführenden, zu ausgetreten ist mir der Pfad der Filmmusik als Selling Point, auf dem das Können dieser Komponistin immer eher getrieben wirkt. Auf diesem Tonträger wird die Musik von Missy Mazzoli symphonisch und kammermusikalisch präsentiert, und das ist sie meiner Meinung nach auch.
Im ebenfalls von Peter Herresthal gespielten “Vespers for Violin” für Solo-Violine und elektronische Begleitung stellt der Solist in seiner beeindruckenden Technik violinistische Tradition in den Vordergrund.
Isolation
Aber fast noch besser als die zuerst gespielte Fassung des Violinkonzertes gefällt mir die Kammermusikalische am Schluss, denn vielleicht hört man hier den Musiker*innen des Arctic Philharmonic die Erfahrung bei der Arbeit in kleineren Ensembles an. Die besondere Intimität, mit der die Beteiligten das Werk hier aufführen passt generell sehr gut zu Missy Mazzolis Musik, was ihrem cineastischen Ruf fast etwas entgegen steht. Auch scheinen einige Stilelemente und Gestaltungen bei dieser Besetzung griffiger zu funktionieren, und können so unmittelbarer wirken, wie die Glissandi in den tiefen Streichern. Herresthal spielt dann die Kadenz in einer nahezu als Isolation verstandenen Atmosphäre, und er schafft es, dieses Alleinsein in sein eigentlich recht reges Zusammenspiel mit dem Orchester zu transportieren, und verkörpert sogar im Tutti Vereinzelung.
Auch in den übrigen Orchesterwerken auf dem Album zeigt das Arctic Philharmonic wie gut ihnen Missy Mazzoli liegt, nicht immer hört man bei einer Aufnahme Spielfreude so deutlich heraus. Bei “Sinfonia (For Orbiting Spheres)” gestalten die Musiker*innen eindringlich und entsprechend elegisch in den Dynamikbögen. Die vielen Erzählebenen bekommt das Ensemble immer wieder gut sortiert, und präsentiert sinnhaft. Dramaturgische Verläufe wirken dadurch oft eher wie logische Folgen als zufällige Entwicklungen.
Insgesamt gelingt es allen Mitwirkenden dieses Albums hervorragend, die Komponistin Missy Mazzoli einmal mehr als im großen Kanon etabliert darzustellen, und dabei Ernsthaftigkeit nicht aus den Augen zu verlieren.
Titelfoto: Arctic Philharmonic © Marthe Mølstre