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Einfach Klassik.

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CD-Review: Molina Guitar Duo – „PARIS!“

Das Duo ist ja die kleinste Form der Ensembles. Ist es deshalb eher wie die Gleichzeitigkeit zweier Solist*innen zu sehen? Nicht notwendigerweise. Den Gegenbeweis für diese These erbringt das Molina Guitar Duo mit seiner neuen CD „PARIS!“.

Die deutsche Gitarristin Isabella Selder und der mexikanische Gitarrist Santiago Molina Gimbernat kultivieren intensiv das Ensemblespiel, auch wenn sie nur zu zweit sind. Es ist nicht einfach sich aus dem Meer an wöchentlich neu erscheinenden Klassik-Alben herauszuheben. Die beiden in Friedberg ansässigen Musiker*innen schaffen das mit so viel jovialer Leichtigkeit und entspannter Interpretationsausführung, dass ich wirklich verblüfft war, und das passiert ja nicht so schnell. 

Molina Guitar Duo
Molina Guitar Duo

„PARIS!“, jedes Album braucht ja ein Konzept, ist in diesem Fall die Zusammenstellung von Werken am Übergang vom Impressionismus zur Musik des 20. Jahrhunderts, von Komponisten die in der französischen Hauptstadt residierten. Da steht mit Debussys „Suite bergamesque“ in der Bearbeitung für zwei Gitarren gleich eine äußerst populäre Auswahl am Anfang. Aber man muss es spielen hören, das Molina Guitar Duo, denn was sie mit ihren Instrumenten, dem Raum um sie herum und mit uns Hörer*innen anstellen ist bemerkenswert.

Das Molina Guitar Duo bringt außergewöhnliches Hörerlebnis

Da wäre erstmal das technische Zusammenspiel, das ganz besonders gleichschrittig ist, Tonfolgen werden hundertprozentig synchron ausgeführt, Einsätze nach Pausen sitzen akkurat aufeinander. Fast gewinne ich den Eindruck, die beiden Musiker*innen wollen wie ein Klangkörper wirken. Was ja eine fast schon extreme Entscheidung wäre, macht aber die Kombination von zwei Gitarren für mich zu einem außergewöhnlichen Hörerlebnis, wirken sie tatsächlich manchmal wie verschiedene Register eines größeren Instrumentes. Dabei hilft die Mischung der Aufnahme im ersten Eindruck eigentlich gar nicht mit, denn eine Gitarre sitzt im Raumbild sehr weit rechts, während die andere mehr halb links positioniert ist, eine ungewöhnliche Asymetrie. Aber doch gibt diese produktionstechnische Eigenart den Gitarrist*nnen vom Molina Guitar Duo die Möglichkeit durch ihr perfektes Zusammenspiel für die Zuhörenden einen Klangraum zu eröffnen der sehr eindrucksvoll ist. Und dieses Setting nutzen sie perfekt und konsequent wenn sie in Debussys Menuett mit Witz leichten Schrittes schlendern, und dann die wehmütigen, oktavierten Melodien unprätentiös und dadurch aber mit originärer Interpretationskraft für sich stehen lassen. 

Und, ach, „Claire de lune“ ist einer dieser Gassenhauer, die man sich vielleicht nicht mehr auf eine CD platzieren traut, aber ich habe nunmal so ein persönliches Faible für dieses Stück, dass ich trotzdem gespannt bin, aber nicht unbedingt erwarte beeindruckt zu werden. Falsch gedacht, denn es folgt eine Version, die die einzigartige Schönheit dieser Komposition mit Pausen, mit Leeren und Zwischenräumen und dadurch mit sehr viel Bescheidenheit präsentiert. Selder und Gimbernat nutzen hier die eigentlich eher beschränkende Eigenart ihrer Instrumente des relativ kurzen Sustains dafür, innerhalb der Musik Stille wirken zu lassen, Zerbrechlichkeit und Fragilität zu thematisieren und dabei immer Zurückhaltung zu üben. Das ist wirklich ganz stark, mit Sicherheit eine der besten Interpretationen dieses epochalen Klassik-Klassikers die ich jemals gehört habe!

Und im folgenden „Passepieds“ lässt die Qualität nicht nach. Den schreitenden Charakter dieses Satzes musiziert das Molina Guitar Duo selbst in Passagen ohne repetitive Rhythmuselemente perfekt, und ist dabei verblüffend groß im Gesamtklang, fast schon orchestral.

Molina Guitar Duo
Molina Guitar Duo

Spielerische Bandbreite wird dann in „Divertissement pour deux guitares“ von Jean Francaix offenbar. Die „Élégie“ kommt mit so viel liebevoller Einfühlsamkeit, man hört direkt mit wieviel Zuneigung sie gespielt ist, so weich werden die Töne gesetzt und zwischen den beiden ausgetauscht. Und wieder erstaunt mich hier diese schon fast unwirkliche Synchronität bei gemeinsam gesetzten, fermatenartigen Akkorden. 

Eigentlich bin ich hier ja schon beeindruckt genug, aber es geht noch munter weiter mit der Sonatine von Alexandre Tansman, deren starke vokale Melodien von den Gitarren richtiggehend gesungen werden. Gleichzeitig werden Selder und Gimbernat durch geschicktes Wechselspiel sehr erzählend, so daß vor meinem inneren Auge die Bilder alter Märchenfilme auftauchen. Mit der Kunstfertigkeit und dem Qualitätsbewusstsein einer Kunsthandwerkerin bemühen sich die beiden hier Geschichten plastisch darzustellen, und sie reüssieren voll und ganz. Die nachdenkliche und harmoniestarke „Elegia“ stellen sie an manchen Stellen fast schon etwas karg und von einer gewissen Einsamkeit geprägt in den Raum. Das ist Interpretationskraft! Diese wirkt auch weiter in Tansmans Satz „Vif“, dessen eigentümliche Harmonik und Aufbau hier mit Verve atmosphärisch sicher auf den Punkt dargestellt sind.

Qualitätsbewusstsein

Ich kann dieses Album leider nicht in Gänze beschreiben, auch wenn ich es gerne tun würde. Aber „La belle excentrique“ von Erik Satie ist dann nochmal ein musikalisch mutiger und andersartiger Abschluss für diese Aufnahme. Die eigenwillige Mischung aus varieteeartigen, eher von Unterhaltungsmusik geprägten Melodien, und der dann wieder tendenziell abseitigen Harmonik sind für das Molina Guitar Duo eine starke Auswahl, können sie damit doch ein weiteres mal zeigen was in ihnen steckt. Die hohe Agilität bei gleichzeitiger Abstimmung aufeinander in den rhythmisch durchaus anspruchsvollen Passagen von „Valse du mysterieux“ soll ihnen erstmal jemand nachmachen. Und dann zum Abschluss schwelgen die beiden nochmal in den ironischen Melodien und feuern die kräftigen Abschläge in den Raum.

Mit dem Molina Guitar Duo hatte ich nicht gerechnet. Du auch nicht? Dann tun wir alle gut daran, das zu ändern! „PARIS!“ ist eine Gitarrenplatte die Vieles in sich hat, begeisternde Programmierung, sehr ansprechende technische Umsetzung, leidenschaftliches, erzählerisches Musizieren und erstaunliche Wirkmacht im Ensemblespiel. Chapeau!

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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