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Einfach Klassik.

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CD-Review: Myriam Barbaux-Cohen – Mel Bonis

Noch ein Album mit Werken einer Komponistin, von der man noch nicht so viel gehört hat? Dergleichen taucht immer mehr im CD-Markt auf, und auch hier im Blog waren schon häufiger ähnliche Veröffentlichungen vertreten. Und Hand aufs Herz, ich bin heilfroh über diese Entwicklung, wir können es uns als Klassikblase und als Gesellschaft im Allgemeinen einfach nicht leisten, uns diese Menge an begeisternder Musik und diese bewegenden Lebensgeschichten entgehen zu lassen. Und da sind wir schon bei einem interessanten Punkt, denn auch bei der vorliegenden Komponistin ist die Lebensgeschichte wieder bewegt und von Zäsuren durchbrochen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert standen Frauen die eine Karriere als Musikerin oder Komponistin angehen wollten fast immer großen gesellschaftlichen Hürden gegenüber, die es ihnen unmöglich machten, ihren Werdegang so kontinuierlich zu gestalten wie ihre männlichen Kollegen. 

Auch bei der von der Pianistin Myriam Barbaux-Cohen thematisierten französischen Komponistin Mel Bonis waren es die elterlichen Konventionen, die sie weg von ihrer Ausbildung am Konservatorium hinein in eine Ehe mit einem Musik gegenüber desinteressierten Ehemann katapultierten. Allen widrigen Umständen zum Trotz schaffte Mel Bonis es dennoch insgesamt mehr als 300 Werke zu komponieren. 

Auf dem nach der Komponistin benannten Album hat nun Myriam Barbaux-Cohen Klavierwerke zusammengestellt, und erzeugt damit bei mir zunächst vorsichtiges Grundinteresse. Schon nach einigen Stücken änderte sich meine Haltung aber zu überraschter Begeisterung, vor allem die verblüffende musikalische Vielfalt der einzelnen Werke zeigt eine kompositorische Bandbreite, die mich noch neugieriger auf mehr Hörerlebnisse mit Mel Bonis Musik machte.

Seien es Walzer wie in “Étiolles, Op. 2” oder “Gai printemps, Op. 11”, versonnene Romantik in “Prélude in E-Flat Major for Piano, Op. 10” oder bewegtere pianistisch anspruchsvollere Klavierstücke wie “Près du ruisseau, Op. 9”, Myriam Barbaux-Cohen geht jedes Werk mit großem Einsatz und viel Interpetationsfreude an. Die durchaus bemerkenswerten technischen Ansprüche spielt sie locker und entspannt, und schafft es immer die Musik und ihre Spannungs- und Stimmungsverläufe in den Vordergrund zu stellen. In “Près du ruisseau, Op. 9” oder “Romance sans paroles., Op. 29” erreicht Myriam Barbaux-Cohen mit ihrem exakt und immer passend geplanten Timing und mit ihrer dynamisch umfangreich gesetzten Anschlagtechnik richtiggehend spielerische Größe, so dass ich die Aufnahme hier anderen Klassikfreunden durchaus als Top-Einspielung vorstellen würde. 

Einen Höhepunkt erreicht das Album bei “Carillon mystique, Op. 31” welches die Pianistin mit einer faszinierenden Mischung aus Träumerei und fragender Unruhe ausführt, wodurch ich förmlich in ein emotionales Spannungsfeld gezogen werde. Einmal mehr begeistert mich da die wunderbare Agogik von Barbaux-Cohen, die ja in dieser Epoche unablässig ist. Meisterhaft bildet die Pianistin die Gefühlswelt von Mel Bonis ab und zeigt, dass ihr diese Musik und ihre Publikmachung wirklich am Herzen liegt.

Myriam Barbaux-Cohen, Foto © Antonin Cohen
Myriam Barbaux-Cohen, Foto © Antonin Cohen

Dies setzt sich noch weiter fort in den spätromantischen Schönheiten “Au crépuscule, Op. 111” und “Une flûte soupire, Op. 117 No. 1” die durch eine mit Zurückhaltung präsentierte Anschlagsteuerung auffallen. Eine weitere Facette beleuchtet die Pianistin in “Églogue, Op. 12” und “La Cathédrale blessée, Op. 107”, die sich beide durch eine statisch wirkende Einfachheit im Aufbau auszeichnen, und Barbaux-Cohen betont dies durch die Präsentationen der einzelnen Melodien und Themen als Kleinmonolithen, die manchmal für sich im musikalischen Raum stehen.

Nicht nur bringt uns dieses Album mit Mel Bonis eine faszinierende Komponistin und ihr Werk näher, es etabliert auch Myriam Barbaux-Cohen einmal mehr als versierte Pianistin, die sowohl in der Programmierung als auch in der Ausführung Geschmack und Stilsicherheit beweist.

Titelfoto © Antonin Cohen

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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