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Thielemann, Levit Cover

CD-Review: Neues Brahms-Programm mit Levit und Thielemann

Die Einspielung der beiden Brahms-Klavierkonzerte op. 15 & op. 83 ist die erste gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Dirigent Christian Thielemann und Pianist Igor Levit in Begleitung der Wiener Philharmoniker.

Brahms erstes Klavierkonzert entstand zwischen 1854 und 1857, fiel jedoch bei der Uraufführung 1859 in Hannover beim Publikum durch. Das Werk war für die Ohren des gemeinen Volks zu düster, kompliziert und wenig nahbar. Brahms war während der Arbeit an dem Konzert auch nicht gerade in bester Stimmung, denn seinem Freund Robert Schumann ging es gesundheitlich schlecht und dessen Suizid-Versuch nahm Brahms ziemlich mit. Die emotionale Verfassung des Komponisten ist bei jeder Note deutlich spürbar. Hinzu kam, dass Brahms in Clara (Schumanns Gattin) verliebt war, und ihn möglicherweise ein schlechtes Gewissen plagte.

Interpretatorisch setzen Thielemann und Levit jetzt keine neuen Maßstäbe. So fehlt mir beim Maestoso gänzlich der Spannungsaufbau. Zwar klingt alles sehr fließend und aufeinander abgestimmt, aber insgesamt kommt die Dramatik sowie das Volumen in den tutti etwas zu kurz. Das adagio ist zwar schön austariert, jedoch eine Nuance zu schwermütig geraten. Die fast greifbare Intimität eines Nelson Freire mit dem Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly wird leider zu keiner Zeit erreicht. Allerdings ist eine solche Referenz-Aufnahme auch nur sehr schwer zu toppen, falls das überhaupt jemals möglich sein sollte.

Das zweite Klavierkonzert entstand erst mehr als 20 Jahre später, um 1881. Das allegro non troppo beginnt mit einem markanten Soloeinsatz der Hörner, bevor das Piano dann die Melodie auffängt und wieder zurück an die Hörner übergibt. Orchester und Solist sind in einem ständigen Dialog. Auch hier muss ich den Vergleich zu Freire und Chailly ziehen. Bei Thielemann und den Wiener Philharmonikern ist mir der Klang etwas zu schlank geraten. Zwar stimmt die Balance zwischen Orchester und Solist, der Funke mag aber nicht recht überspringen. Zu brav, aufpoliert und feingliedrig klingt die Aufnahme. Dem Gewandhausorchester Leipzig unter Riccardo Chailly und mit Nelson Freire am Piano hingegen gelingt in der Live-Einspielung von 2006 der perfekte Dialog und eine regelrecht symbiotische Beziehung in Klang und Interpretation.

Lohnt sich das neue Brahms-Set trotzdem? Irgendwie schon, denn die wahre Stärke dieser 3 CD- Box liegt eindeutig in Levits Solo-Part. Die Fantasien und insbesondere die wunderbaren Intermezzi ( Brahms eigener Aussage nach die „Wiegenlieder meiner Schmerzen“) wurden selten so empathisch und akzentuiert zu Gehör gebracht. Levits Spiel leuchtet kraftvoll in sämtlichen Farben. Tief und konzentriert taucht er in die Gefühlswelt von Brahms ein, hier mal ein wenig träumerisch oder auch mal rabiater im Anschlag, dann wieder mit einer fast zärtlich anmutenden Eloquenz. Dabei entsteht der Eindruck, dass er Brahms regelrecht ausforscht, aber irgendwie unaufdringlich und erst recht nicht überreizt oder leidenschaftslos.

Fazit: Auch wenn mich die Einspielung der Klavierkonzerte letzten Endes nicht ganz überzeugen konnte, so wird dieser Eindruck durch die Solo-Klavierminiaturen wieder wett gemacht. Levit spielt einen starken und charakteristisch anmutenden Brahms in beeindruckender technischer Virtuosität. Meines Erachtens nach seine beste Aufnahme nach den Beethoven-Klaviersonaten.

Tipp: die Scheibe einfach mal unter dem Kopfhörer genießen. Es lohnt sich.

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Kai Germann ist Pädagoge und war 15 Jahre lang Radiomoderator in unterschiedlichen Sendeformaten. Schon als Jugendlicher früh durch Oskar Werner inspiriert, hat er sich intensiv mit Poesie, Literatur und klassischer Musik auseinandergesetzt und auch selbst Klavier gespielt. Neben dem Schwerpunkt Wiener Klassik liebt er Musik in all ihren Facetten. Er schreibt Film-Rezensionen und Klassik-Reviews (Konzerte, CD-Neuerscheinungen, Buchbesprechungen), führt Interviews zum Thema Film, Theater, klassische Musik, und hält sich gerne in Salzburg auf. Kai Germann möchte mit seinen Beiträgen nicht nur Kenner, sondern auch Neueinsteiger jeden Alters für die vielen unterschiedlichen Facetten der klassischen Musik begeistern.
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