Einfach Klassik.

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North Sea String Quartet Splunge Cover

CD-Review: North Sea String Quartet – „Splunge“

Das Streichquartett – lange Zeit Königsklasse der klassischen Kammermusik – erlebt in den Händen des North Sea String Quartets eine kühne Neuinterpretation. Mit ihrem Album „Splunge“ beweist das niederländische Ensemble, dass diese traditionsreiche Formation auch im 21. Jahrhundert ein Vehikel für musikalische Innovation sein kann. Im Jahr 2016 fanden George Dumitriu und Pablo Rodríguez an den Violinen, Yanna Pelser an der Viola und Cellist Thomas van Geelen in den Niederlanden zum North Sea String Quartet zusammen. Ausschlaggebend war der Wunsch nach einer akustischen Gruppe, die den klassischen Streicherklang weiterdenkt, dabei aber auch mächtig groovt und swingt.

Zwei Violinen, Viola und Violoncello – das Streichquartett gilt seit jeher als Prüfstein für kompositorisches Können und mindestens ebenso für interpretatorische Präzision. Doch was geschieht, wenn man die strenge Struktur der Klassik mit der Freiheit des Jazz und der Spontaneität der freien Improvisation verschmilzt? Das North Sea String Quartet wagt dieses Experiment und schafft dabei einen faszinierenden Hybrid als überzeugende Antwort. George Dumitriu und Pablo Rodríguez an den Violinen, Yanna Pelser an der Viola und Cellist Thomas van Geelen jonglieren virtuos mit den Elementen verschiedener musikalischer Welten. Aus der intimen Klangpalette des Streichquartetts schöpfen die vier einen spannungsgeladenen Austausch voller Spontaneität.

North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli
North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli

Springen wir hinein ins Abenteuer, denn „Splunge“ heißt auf Deutsch „Hineinspringen“ ins kalte Wasser: Das Herzstück des Albums bildet die vierteilige Suite „WTTT“, die das Programm einrahmt und in der die vier Niederländer farbenreiche musikalische Gebilde wuchern lassen. Besonders auffällig ist der Einsatz einer synkopenreichen Beatstruktur, die aus dem Drum and Bass entlehnt scheint. Pablo Rodríguez simuliert mittels einer elektronischen „Stompbox“ gekonnt den Klang einer Bassdrum, während das Ensemble akustische Effekte wie Delay und Distortion erzeugt und eine Vielzahl innovativer perkussiver Techniken auf den Streichinstrumenten zum Einsatz bringt. Die Kompositionen des Quartetts zeugen von einer bemerkenswerten stilistischen Vielseitigkeit. „Carousel“ etwa vollzieht eine faszinierende Metamorphose von strenger Kontrapunktik zu einer minimalistischen Struktur, die zunehmend an Leichtigkeit gewinnt. In „Cryptosplash“ erobert eine an Bebop erinnernde Rhythmusstruktur im abgehackten Pizzicato den Raum – hier lassen sich Einflüsse des Saxophonisten Steve Coleman und des Pianisten Vijay Iyererahnen.

Die Flexibilität ist atemberaubend

Beeindruckend ist die Fähigkeit des Ensembles, innerhalb kürzester Zeit zwischen verschiedenen Klangwelten und Gesten zu wechseln. So folgt auf die ruhigen, vibratoarmen Schwebeklänge in „One Night Music Stand“ unmittelbar das perkussive Feuerwerk von „Roller“. Die Musiker scheuen dabei auch vor extremen Lautstärken nicht zurück. Neben den komponierten Elementen wird der freien Improvisation ausgesprochen viel Raum gewährt. Das Titelstück „Splunge“ besticht durch harsche perkussive Impulse auf Saiten und Instrumentenkorpussen, während „Splunge out“ mit glitzernden Flageolett-Obertönen ein stimmungsvolles Finale setzt. „Splunge“ ist ein mutiges, innovatives Album, das die Grenzen des Streichquartetts neu definiert und dabei auch den Groove und Swing im Blick behält. So kann und sollte zeitgenössische Musik klingen, die sich furchtlos der zeitgenössischen musikalischen Wirklichkeit in ihrer Bandbreite öffnet und dabei die eigenen Wurzeln nicht vergisst.

North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli
North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli

Neben innovativen Aufnahmen und Auftritten betreibt das Quartett übrigens auch eine Akademie für Improvisation und Streichinstrumente, um ihre kreativen Ansätze weiterzugeben. Sie haben mehrere Workshops zur Improvisation für junge Musiker in und außerhalb der Niederlande geleitet und haben mehrfach mit dem kanarischen Jugendorchester Barrios Orquestados zusammengearbeitet. Im Jahr 2019 gründeten sie zusammen mit dem weltweit renommierten Jazzgeiger und Pädagogen Tim Kliphuis die Academy of Improvising Strings, ein jährliches Workshop-Wochenende in den Niederlanden, mit einer ersten Ausgabe speziell für Jugendliche im Jahr 2022.

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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