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Einfach Klassik.

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CD-Review: Nutcracker – Baltic Sea Philharmonic

Kristjan Järvi ist bekannt für seine Neuarrangements klassischer Werke, und auch für seine Liebe zu Tschaikowski. Das Baltic Sea Philharmonic, dessen Gründungsdirigent er ist, steht ihm treu und mit viel Begeisterung bei diesen Projekten zur Seite. 

Pünktlich zur Vorweihnachtszeit hat sich Järvi also den Nussknacker vorgenommen. Einer der bekanntesten Weihnachtsklassiker mit sehr vielen hochbekannten musikalischen Themen. Hier könnte man also altes zunächst zerstören wollen, um neues zu erschaffen. Klug genug um dies nicht zu tun ist Järvi aber allemal, etwas völlig anderes zu erzeugen ist hier gar nicht die Absicht.

Kristjan Järvi lässt den alten Klassiker weitgehend intakt, setzt neu zusammen, erweitert und kombiniert. Alles um jedoch dieses festlich fröhliche Erlebnis, das dieses Werk so reizvoll macht, zu erhalten. 

Und das Baltic Sea Philharmonic ist da der ideale Partner, gehen die Musiker*innen doch mit viel Geschmack und Feinsinn zu Werke. Aber auch mit Kunstfertigkeit, und die brauchen sie auch, denn das Tempo in dem gespielt wird ist aller Ehren wert schnell. Da fliegt mir gleich die “Dazzling Party” (im Original “March” genannt) in den schnellen Passagen der Flöten und Streicher etwas um die Ohren, wobei die Flöten in fast unglaublicher Geschwindigkeit spielen. Aber im positiven Sinn, alles wirkt trotzdem locker, und auf die Melodieformung fokussiert. Die schwungvollen Aufwärtsläufe der Violinen kommen prägnant und mit Lust gespielt.

Zusätzlich verströmt das Orchester Frische im Vortrag, was sich im bewegungsfreudig dargebotenen “Children’s Gallop and Entry of the Parents” zeigt, dessen ähnliches Gegenstück im Originalwerk ich durchaus schon schwerfälliger gehört habe. Trotz des anspruchsvollen Tempos können die Musiker*innen diese Gestaltungselemente mit Nachdruck und Leichtigkeit etablieren, und verkörpern damit perfekt Kristjan Järvis frischen Ansatz bei Werkbetrachtungen. Die jahrelange Zusammenarbeit und Konzentration aufeinander zahlt sich da so vortrefflich aus, dass die Konzeption und Umsetzung solcher Veröffentlichungen wahrlich mühelos wirkt.

Munter weiter mit dem druckvollen, fast entfesselten Vortrag geht es dann in “Enchantment”, und ich stelle mir die Frage, wann das Baltic Sea Philharmonic eigentlich mal durchatmet. Schlagwerk, Bässe und tiefe Bläser treiben den Klangkörper unermüdlich voran. 

Doch auch dieses Orchester erreicht früher oder später die geschwungeneren, getragenen Abschnitte des Werkes, und die Musiker*innen lassen sich in “The Departure” sehr gerne ein auf einzelne Teilszenen, wobei die verschiedenen Instrumentengruppen sehr plastische kleine Klangräume zaubern, über die die musikalische Erzählung munter weiterlaufen kann.

Generell scheint es nicht Järvis Sache zu sein, sich zur Gänze überladenem Weihnachtsfeeling hinzugeben, und so geraten sogar einige hochbekannte musikalische Themen eher unprätentiös, wie der “Waltz of the Flowers” der nicht in Feiertagsschwere zergeht, sondern immer noch einfacher Tanz bleibt, trotz fulminantem Schluss.

Kristjan Järvi, Foto © Sunbeam Productions / Siiri Kumari
Kristjan Järvi, Foto © Sunbeam Productions / Siiri Kumari

Und auch bei den anderen Tänzen im zweiten Akt setzt Kristjan Järvi konsequent seine Herangehensweise um. Da “Chocolate: Spanish Dance” generell nicht so agogisch-tänzerisch angelegt ist, geht Järvi hier erst recht ins Tempo, und erzeugt damit noch zusätzliches Schmunzeln, während die Karawanenanklänge in “Coffee: Arabic Dance” immer noch den rhythmischen Puls im Vordergrund halten, anstatt abwartend Hitze und Schwere zu kultivieren. “Trepak: Russian Dance”, vielleicht eine der bekanntesten Melodien im Werk reißt mich dann wieder wie ein Wirbelwind aus dem Sessel, und dann, ja dann steigert das Orchester am Ende das Tempo auch noch, es ist fast schon ein Konzerterlebnis. Begeisterung! 

Immer wieder fallen mir im Verlauf die Flöten positiv ins Ohr. Unersetzlich in so einem Weihnachtswerk, muss aber eben auch die spielerische Qualität vorhanden sein, um all die thematisch tragenden Melodien, aber auch technisch höchsten Ansprüche perfekt umzusetzen. Diese Spielmöglichkeiten hat das Baltic Sea Philharmonic allemal, und so ist diese Weihnachts-CD eine mitreissende Freude, und sie wird wohl dieser Tage noch einige male durch die Lautsprecher in meinem Wohnzimmer wirbeln.

Titelfoto: Baltic Sea Philharmonic, Foto © Bernd Possardt

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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