Es gibt durchaus Menschen, die bei einer CD, auf deren Cover ein weites Meer zu sehen ist und deren Titel etwas mit „peaceful“ oder gar „relax“ enthält, die Beine in die Hand nehmen. Vor dem inneren Ohr zieht in so einem Fall sogleich Meeresrauschen, Walgesang oder sogar Panflötenspiel vorbei. Und so greift diese Gruppe von Hörer*innen womöglich mit vorsichtiger Neugier zu der CD „Peaceful Choir“. Doch einmal eingeschaltet, lösen sich sämtliche Vorbehalte auf, um etwas viel Größerem Platz zu machen: dem Gefühl von Wärme.
Das Album
Wer sich auf das Album „Peaceful Choir“ in Gänze einlässt, lässt sich auf eine Reise durch alle Höhen und Tiefen unserer Welt ein. Man lässt sich auf einen Künstlerischen Leiter ein, der den Chor wie ein Magier führt. Und auf Sänger, deren Stimmen in der Lage sind, vom seligen Lächeln auf den Lippen bis hin zu tränennasse Wangen auszulösen.
Der Weltfriedenschor besteht aus 24 professionellen Sängerinnen und Sängern aus 16 verschiedenen Nationen weltweit und wurde erst 2018 von Nicol Matt – neben diesem Dirigat ist er auch künstlerischer Leiter des Kammerchors Hannover und Chamber Choir of Europe – gegründet. Umso mehr erstaunt der homogene Klang dieses recht neuen Ensembles.
Den Anfang ihres Albums macht „The Music’s Always There With You“, ein relativ bekanntes Werk des Komponisten John Rutter. Und dieser gelingt perfekt. Rutters Musik schließt einen in die Arme, man kann getrost sagen, dass das bei Rutter grundsätzlich der Fall ist, wenngleich nur Insider wissen, dass seine Wahl der Tonarten und der damit verbundenen Vorzeichen bei dem einen oder anderen Streicher die obligaten Augengläser zurechtrücken lässt.
Weite und Klang
Das Besondere bei dieser Aufnahme ist die beginnende Begleitung, die statt mit Klavier, mit Lavinia Meijer an der Harfe besetzt ist. Die Musikerin gehört zu den renommiertesten Harfenistinnen weltweit und ist bekannt für ihr breites Interesse durch alle Musikgenres. Ihr Spiel hat weniger von der Sanftheit, die man diesem Instrument gerne unterstellt. Vielmehr schafft sie es, dem Stück mehr Weite und Klang zu geben. Der Chor steht ihr in nichts nach. Das Mezzopiano zu Beginn nimmt er nicht zu vorsichtig, sondern eher strahlend weich, was im Zusammenklang mit der Harfe zu einem Herzöffner wird.
Überraschend kommen anschließend die Klänge des walisischen Komponisten Karl Jenkins daher. „Healing Light“ beginnt mit Fußstampfen und Bodypercussion. Spätestens jetzt ist es aus mit dem oben erwähnten Gedanken an Walgesang oder Meeresrauschen. Dieses Stück mit großem Ohrwurmpotenzial ist ein Gebet, rund um den Frieden und die Natur. Die Melodie übernimmt zum Anfang die Geigerin Esther Abrami. Gezupfte Cellotöne kommen von Gereon Theis, einem Hannoveraner Cellisten, der im nachfolgenden Stück , „O Love“ mit wunderschönem Cellosolo begeistert. Genaugenommen ist es sein Cellospiel, das dem Stück die entscheidende Intensität gibt. „O Love“, geschrieben von der jungen Komponistin Elaine Hagenberg, ist sehr getragen und das perfekt in den Chorklang integrierte Cello hat etwas von einem weichen Sofa nach einem harten Arbeitstag.
Einen Sprung nach Norwegen macht der Weltfriedenschor dann mit dem Komponisten Ola Gjeilo und dem Titel „Serenity“. Gjeilo, inzwischen in New York lebend, ist bekannt für seine „Klangteppiche“. In diesem Fall steht über dem Klangteppich die Violinstimme, gespielt von Esther Abrami. Wohl wissend, dass es eine Frage der Aufnahmetechnik sein könnte, gelingt die Integration in den Chorklang hier weniger, zumal dieses Werk eine intonatorische Herausforderung ist, die leider nicht 100% gelingt. Stellenweise wird die Geigenstimme zu scharf und zu hoch, was angesichts der sehr schönen Komposition sehr schade ist.
Staunen und Gewissheit
Als noch spannender entpuppt sich dann „Threads“ von Maarja Nuut, einer estnischen Sängerin, die sich der traditionellen estnischen Musik gewidmet hat. Die Hör-Reise beginnt in einem estnischen Wald, voller Glück, lauter Staunen und der Gewissheit, bald irgendwo auf eine kleine Hütte zu stoßen. Die Verbundenheit Nutts mit der sogenannten Mutter Erde ist deutlich, möglicherweise, weil sie nach eigenen Angaben dieses Werk nach dem Tode ihrer Großmutter geschrieben hat.
Und wer noch nicht voll von unwirklichen Klängen ist, der wird bei dem nächsten Stück, das tatsächlich von Brahms (!) ist, nicht aus der Verblüffung heraus kommen: Hier wird der Ungarische Tanz Nummer Eins so langsam gesungen, dass es ein vollkommen neues Klangbild ergibt. Wer die ungarischen Tänze gut kennt, der ist trotz großer Faszination fast erleichtert, mit dem „Ave Maria“ von Helen Ostafew, selbst Sängerin des Chores, in eine neue Welt weiterfliegen zu können. Ebenso schön wie das, ist auch das „Lullaby“ von Daniel Elder aus seinen drei Nocturnes (die anderen zwei sind auch sehr hörenswert, wenngleich nicht Bestandteil dieses Albums). Sollten Sie Schwierigkeiten beim Einschlafen haben: nach diesem Stück sind Sie bereit für eine selige Nacht.
In diese ruhigen Stimmung passt „Let My Love Be Heard“ von Jake Runestand sehr gut, befördert die oder den Zuhörer*in aber in eine besondere Innigkeit, wenn man den Hintergrund des Stückes kennt, der in der Bewältigung der terroristischen Anschläge in Paris 2015 liegt.
Und wieder ist es Gereon Theis‘ Cellosoli zu verdanken, dass sich beim „Eja Mater“ von Kim André Arnesen, ebenfalls einem norwegischen Komponisten, das Gemüt aufhellt. Genießen kann man in diesem Sinne auch das nachfolgende „Come To Me“ mit einem gelungenen Soloeinsatz von Malcolm Cooper.
Farbig gelungen
Und wer sich gefragt hat, wo denn die Harfe hin ist – in „Earthly Rose“ von Eriks Esenvalds ist sie wieder da. Interkulturtitelte, dieser Komponist beschenke die Welt mit magischen Momenten.
Magie findet man geballt tatsächlich aber erst im nächsten Werk, „To look for Owls“. Harry-Potter-Fans kommen möglicherweise ins Kopfkino und ihnen bleibt zu hoffen, dass die Eule Hedwig den Angriff des Cellos unbeschadet überlebt hat… Den Spaß beiseitegeschoben: dieses raffinierte Stück von Ellis Ludwig-Leone basiert auf einem Gedicht von Cynthia Zarin, einer amerikanischen Dichterin und ist mystisch wie farbig sehr gelungen.
Falls sich dabei in Kopf und Ohr die Vorstellung eines intakten Waldes mit zwei Eulen darin gebildet hat, wird das jäh auseinander gerissen. Das folgende „Fifteen Million Acres“ von Hauschka (aka Volker Bertelmann) entstand mit Blick auf die verheerenden Buschbrände in Australien Ende 2019. Hauschka, in dessen Auftritten durchaus auch Ping Pong-Bälle in und aus dem Flügel springen können, entwickelt hier eine innige Tiefe, die die Dramatik sterbender Bäume spürbar macht und besonders den Schmerz und die Verzweiflung, die der Situation an der Ostküste des Landes geschuldet waren, hörbar macht (unter anderem durch Sprecheinsätze). Der Chor überträgt dies, wie erwartet, exzellent.
Erwähnt werden sollte auf jeden Fall, dass mitten in dieser Musik, die einen aufgrund des Themas mit einem gewissen Unbehagen erfüllt, der Jazzpianist Tim Allhoff die Interpretation bereichert, auch wenn der ECHO-Preisträger hier nicht improvisierend zum Zug kommt. Auch Esther Abrami begleitet den Chor wieder und die erwähnten Schwierigkeiten in „Serenity“ sind dabei weniger ein Thema.
Kuscheln und seufzen
Mit Eric Whitacres „The Seal Lullaby“ findet die oder der Zuhörer*in wieder in eine gewisse Ruhe zurück. Dieser Effekt wird durch „Dream 1, Part 1“ von Max Richter gesteigert. Dabei ist dieses Stück nur das erste eines achteinhalb Stunden andauernden musikalischen Zyklus, den Max Richter zum Schlafen komponiert hat. (Ja, Sie lesen richtig. Man soll dabei schlafen.) Der Chor summt, den Klavierpart der Originalkomposition und erreicht so eine Wärme, die das Schlafen gar nicht mehr so erstrebenswert macht. Vielmehr will man mit diesen Tönen kuscheln und dabei tief seufzen.
Und dann stellt sich mal wieder heraus, dass diese „Gefühlspause“ dringend notwendig war, bevor das nächste Werk erklingt. Hans Zimmer, der berühmte Filmmusikkomponist, schrieb „Aurora“ nach dem schlimmen Anschlag im Kino von Aurora (Colorado, USA) in 2012. Nun wird einem mit aller Macht bewusst, dass es Menschen mit Abgründen gibt, die die Welt in einen gewaltvollen Ort verwandeln wollen. Und dass wir keine Wahl haben, als mit allem Schönen, das uns zur Verfügung steht, dagegen zu kämpfen. Auch, wenn sowohl Gutes als auch Schlechtes der gleichen Vergänglichkeit unterliegt.
So ist es nur konsequent, dass Arvo Pärts „Ja ma kuulsin hääle…“ („And I heard a voice…“), und Fredrik Sixtens „Alleluia“ den Abschluss bilden (ohne instrumentale Begleitung). Auf diese Weise kommt das Album zu einem ruhigen und friedvollen Ende, an dessen man sich wieder an den Album-Beginn erinnert und an das, was Musik vermag:
„And it feels like you never have to say goodbye,
‚Cos the music’s always there in your heart”.
(Rutter)