Die Komponistin Emilie Mayer lebte von 1812 bis 1883 und hat während dieser Zeit ein beeindruckendes, kompositorisches Werk erschaffen. Sehr viel Kammermusik bestehend aus Sonaten und Quartetten, aber auch Orchestermusik, mit u.a. acht Sinfonien. Ihre Musik hat mich so bewegt, dass ich mich auch bei ihr frage, warum ihre Werke in unseren Konzertkalendern nicht in einer Reihe stehen mit den ganz großen Komponistennamen. Emilie Mayer trägt den Beinamen “der weibliche Beethoven”. Wenn man eine männliche Referenz bemüht, um auf die Musik einer Komponistin hinzuweisen, dann kann da etwas verbessert werden. Wie? Am besten, indem man über Emilie Mayer schreibt, und ihre Musik spielt. Letzteres idealerweise mit jemandem, der sich damit auskennt. So jemand ist zum Beispiel der Dirigent Marc Niemann, Generalmusikdirektor der Stadt Bremerhaven. Er hat sich intensiv mit Komponistinnen aus dem 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt, und dazu unter anderem im Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung in Bremen geforscht. In Folge fand er die Schieflage in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit in unseren Konzertprogrammen wohl ebenfalls erschreckend, und plante daraufhin die Saison 21/22 des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven mit dem Motto „Musik im Schatten – music from the shadows“. Chapeau!
Marc Niemann mit Konzept
Dem aber nicht genug, Niemann wurde klar, dass die 6. Sinfonie von Emilie Mayer noch niemals aufgenommen wurde, und die 3. seit der Uraufführung nicht mehr vor Publikum gespielt worden war. Also zog er los, änderte mit seinem Orchester beides, und nahm die 3. auch gleich noch mit auf. Recht so, nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern auch, weil uns dadurch beeindruckende Musik zugänglich gemacht wird, die sonst verborgen bliebe.
Und dass es sich hier nicht um eine Auswahl an bekannten und publikumsträchtigen Werken für eine Veröffentlichung handelt, sondern um ein echtes Anliegen, und um Begeisterung für eine ganz besondere Musik, das merkt man an allen Ecken und Enden dieser Aufnahme. Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven musizieren mit Lust und Verve, mit Gestaltungsfreude und Detailverliebtheit, und sie legen sich richtig ins Zeug, um uns diese beiden Sinfonien vorzuspielen.
Der Beginn mit Sinfonie Nr. 6 ist klug gewählt, hat doch der erste Satz gleich eindrückliche Melodien und Themenkonstrukte zu bieten, und entführt mich in die eigene, abwechslungsreiche Welt der komplexen klassischen Musik der Emilie Mayer. Alle Instrumentengruppen schaffen es gleich zu Beginn zu unterstreichen, wie rund Mayers Musik trotz aller Komplexität ist. Mit Lust spielen die Violinen Melodiethemen bis zum Ende aus, maßvoll fliegen die Celli tiefe Begleitlinien ein, und mit viel Sinn für Intensität fetten die Flöten laufende Tonfolgen mit an.
Richtig beeindruckt hat mich aber auch die hohe Beweglichkeit des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven über größere Instrumentengruppen hinweg. Im zweiten Satz – Allegro – lassen die Musiker*innen die schnellen Abfolgen mühelos wirken und bleiben immer klassisch leicht. Blitzschnelle Wechsel von federleichten Themen zu sinfonischer Schwere, von Einwürfen der Hörner zu den von äusserst weich gespielten Klarinettenlinien.
Marc Niemann legt zusammen mit dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven viel Konzentration in Gesamtdramaturgie, sieht und geniesst die großen Bögen, und betont die längerfristigen Erzählelemente von Emilie Mayer, wie zum Beispiel die typischen, dramatischen Wechseln zwischen Dur und Moll im dritten Satz, Andante, die vor allem von den kunstvoll schwellenden Tönen der Streicher noch mehr herausgearbeitet werden. Gegen Ende der 6. Sinfonie, ungefähr zur Mitte des Albums, demonstrieren die Beteiligten im Scherzo nochmal, was sie da genau machen und vorhaben, spielen ihren runden, sinfonischen Orchesterklang aus, setzen mit Witz die Solo-Elemente von Flöten und Hörnern, agieren tänzerisch und festlich.
Da stelle ich mir dann die Frage, ob Sinfonie Nr. 3 ein starker Kontrast dazu ist. Die “Militaire” hat tatsächlich einen geschichtlich kämpferischen Hintergrund, hat Emilie Mayer sie doch unter den starken Eindrucken der Straßenkämpfe 1848 in Berlin komponiert. Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven schaffen es jedoch, dass das Werk auf mich gar nicht so militärisch und kämpferisch wirkt wie erwartet. So ist der Beginn eher fröhlich und unbeschwert, mit schnellen und beweglichen Streicherpassagen, und jovialen Klarinetten und Hörnern. Stillere Abschnitte sind eher nachdenklich als lauernd angelegt. Auch das Cello-Solo im zweiten Satz, Un poco Adagio, wirkt weich und sehr gefühlvoll, im Gesamtkontext vielleicht etwas zu zurückgenommen. Doch Weichheit spielt Marc Niemann in diesem gesamten Satz aus, und führt die Musiker*innen mit langsamem aber leichtem Schritt durch den Vortrag. Alles in allem lässt der Dirigent diese Sinfonie schon das sein, was sie ist, und versucht nicht sie zu verbiegen, aber er betont eben hie und da die nicht so prominenten Aspekte.
Im letzten Satz gesteht er dem Werk dann aber doch zu, seiner Aufschrift genüge zu tun, und führt das “Finale Militaire” dann tatsächlich in ein Grand Finale mit Pomp und Schmackes und gibt der Aufnahme so einen passenden Abschluss. Vor allem wenn man die Musik von Emilie Mayer noch nicht kennt, dann ist die Hörprobe hier dringend anzuraten! Das ist große Klassik in wunderbarer Handwerkskunst.