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Einfach Klassik.

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CD-Review: Quatuor Tchalik – Boris Tishchenko

Wenn fünf Familienmitglieder gemeinsam eine CD aufnehmen, dann ist das entweder ein Geschenk für Omas 80. Geburtstag, oder eine etwas verrückte Situation, wenn dann wirklich Kammermusik auf höchstem Niveau erklingt. Letzteres ist der Fall bei der neuen CD “Boris Tishchenko” des Quatuor Tchalik zusammen mit Dania Tchalik. Geburtstagsgeschenk ist die Aufnahme aber dennoch, denn wie das Orchestergraben-Onlinemagazin feiert auch das Quatuor Tchalik, bestehend aus Gabriel, Louise, Sarah und Marc Tchalik zehnjähriges Jubiläum. 

Da sich die aus einer russischsprachigen Familie stammenden Musiker*innen schon früh mit dem Werk des Komponisten und Schostakowitsch Weggefährten Boris Tishchenko befasst hatten, lag es für sie nahe, ihm mit den Streichquartetten 1 und 5 sowie dem Klavierquintett Op. 93 eine ganze CD zu widmen. 

Dass sein Werk durch seine eigene Geschichte auch biografische Bezüge zu ihrer eigenen Familie hat unterstreichen die Musiker*innen auf den ersten Blick mit dem Plattencover, für das sie von einer Künstlerin ein Miniatur-Set einer sowjetischen Wohnung in den 1970er / 1980er Jahren erstellen liessen.

Weitaus wichtiger ist natürlich die musikalische Präsentation dieses Konzeptes. Das Ensemble geht dabei weit über die üblichen Qualitätsstandards für eine Kammermusikveröffentlichung hinaus. Perfekte Synchronität, griffige Intonation in der Dynamik und mitreissende Dramaturgie sind da mittlerweile erwartbare Attribute. Auf dieser Basis bauen die Tchaliks dann sozusagen das Plattencover musikalisch nach. Die Hauptintention dabei ist eine wirklich häusliche Stimmung zu erzeugen. “Intimes Spiel” wäre hier eine zu vage Beschreibung, alle Musiker*innen scheinen in sehr engem Kontakt zueinander zu spielen. Man sieht sie förmlich in diesem Wohnzimmer sitzen und die höchst ambivalente Musik zum Erklingen zu bringen. Die ständigen Wechsel zwischen klassischem Streichquartett und dissonanten Passagen gestalten die Tchaliks unterschiedlich, mal mit disruptiver Verve, mal mit sich einschleichender Weichheit.

Quatuor Tchalik mit Spannung

Im zweiten Satz des Streichquartett No. 1, “Allegro giocoso”, spielen die Musiker*innen spitz und pointiert, geben mit harten Tonanfängen der Ironie in der Musik freien Lauf, während sie im anschliessenden “Lento” von weichem, lieblichem Beginn in immer dissonantere Passagen überleiten, deren langen Töne sie auseinander ziehen wie Expander. Die daraus zwangsläufig resultierende Spannung ergibt sich oft durch die Hintertür, auch an anderen Stellen des Albums. 

Noch während das Ensemble sehr erzählend und domestisch zeichnend agiert, bereitet es im ersten Satz des Streichquartett No. 5 immer wieder blitzschnell die dissonanten Akkordklaster und die beissend verlachenden Stakkatoakkorde vor. Diese Abschnitte stehen jedoch nicht immer wie Antipoden gegenüber, am intensivsten interpretieren die Musiker*innen wenn Themen aus der häuslichen Welt verfremdet und ad absurdum geführt werden. 

Dieses Spannungsfeld stellt das Ensemble unumgänglich und fast monolithisch vor die Zuhörenden, so dass man sich unausweichlich damit beschäftigen muss.

Quatuor Tchalik
Quatuor Tchalik

Verblüffende Harmonik

Eine Ausnahmerolle hat auf dem Album das Klavierquintett Op. 93. Es ist ein im Aufbau in sich geschlossenes Werk, in dem Dania Tchalik am Klavier viel Geschick im Ensemblespiel beweist. Er versteht sich gekonnt zwischen Vordergrund und Gleichberechtigung zu bewegen, eine Balance, die aufgrund der Vielstimmigkeit des Werkes manchmal gar nicht so einfach ist, die wohl aber durch die hohe Eingespieltheit der Tchaliks erleichtert wird. Die verblüffenden Harmoniken einzelner Themenentwicklungen werden von allen manchmal schon fast zelebriert und dann zum Schluss in ein ersterbendes Ende ausgeklungen.

Nette Sonntagsklassik ist auf diesem Album nicht zu finden. Aber jeder der sich für klassische Musik interessiert, und mehr erwartet als man üblicherweise von sehr bekannten, oft aufgenommenen Werken bekommt, findet hier eine herausfordernde, dafür aber sehr berührende Aufnahme.

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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