Einfach Klassik.

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CD-Review: Ragnhild Hemsing – BRUCH & TVEITT

Das Konzept der neuen CD “BRUCH+TVEITT” der norwegischen Geigerin Ragnhild Hemsing verspricht eigentlich etwas anderes als das berühmte Violinkonzert Nr. 1 in g-moll, Op. 26 von Max Bruch. Denn hauptsächlich geht es auf dem Album bei dem die Geigerin mit dem Bergen Philharmonic Orchestra unter Eivind Aadland musiziert um die Werke norwegischer Komponisten, und um das von dort stammende Volksinstrument, die Hardangerfiedel. Letztere spielt die Solistin bereits seit ihrer Kindheit, und hat mit dem besonderen Instrument bereits aufgenommen und konzertiert. Zunächst ist von der Fiedel aber wenig zu hören, denn Hemsing wollte schon immer mal Bruchs höchst populäres Konzert aufnehmen. Sowas kann schnell auch schief gehen, doch im vorliegenden Fall läuft das ganz anders. Sowohl Solistin als auch Orchester bieten eine sehr eigene Interpretation, wobei Ragnhild Hemsing fast noch etwas näher an einer Interpretationstradition spielt. Aber was das Bergen Philharmonic aus dem Werk macht ist neu, und erfrischend eigenwillig. Das Orchester gibt sich nicht mit der üblichen sinfonischen Elegie zufrieden, die an sich bei solch einem Werk schon anspruchsvoll genug umzusetzen wäre. Die Musiker*innen nehmen sich in diesem Aspekt wieder deutlich zurück, und wählen einen auf den ersten Blick spröderen Ansatz. Die Musik wirkt trocken, fast nüchtern, pragmatisch, gerade von den Streichern in der Gestaltung langer Töne. Und das ist alles so erfrischend, als spürte man im Konzertsaal beim Spiel des Ensembles eine frische Brise salziger Meeresluft.

Auf den Punkt gebracht

Damit erhält Ragnhild Hemsing die perfekte Kulisse für dynamikreiche und emotional befreite Gestaltung. Man merkt ihr an jeder Stelle an wie sehr ihr dieses Konzert am Herzen liegt, wie lange sie es schon spielt, und wie sie die Ausführung dadurch mithilfe ihrer künstlerischen Persönlichkeit auf den Punkt bringen kann. Und da Hemsing mit dem Orchester eine lange Kooperationsgeschichte verbindet weiß sie zudem ihre Interpretationsdetails an vielen Stellen mit Instrumentengruppen des großen Klangkörpers zu synchronisieren. Und selbst im berühmten dritten Satz wird das Orchester niemals wienerisch, sondern erzeugt Größe auf ganz andere Weise, nämlich nüchtern und dennoch kraftvoll präsentiert. Hemsing bleibt gerade hier trotzdem immer kantig und spielt mit der für große Künstler*innen notwendigen Ruchlosigkeit und Risikobereitschaft, was sich vor allem in ihren fast rustikalen Tonansätzen und Einschwingphasen zeigt.

Im norwegisch geprägten Hauptteil der CD erreicht Ragnhild Hemsing mit der Romanze für Violine & Orchester von Johann Svendsen dann einen echten Schatz des Albums. Dieses in Norwegen seit jeher sehr bekannte Stück zeigt auch unter der Geigerin und dem Bergen Philharmonic warum es so beliebt ist. Die Vielzahl an griffigen musikalischen Themen und Melodien setzen die Beteiligten  mit einem deutlichen Fokus auf der Violine um. Nach einem starken und breit angelegten Crescendo des Orchesters zieht sich dieses weitgehend zurück, und überlässt der Geigerin das Gestaltungsfeld. Lediglich die Flöten setzen durchs Werk verteilt immer wieder, zu Beginn fast mozartesque Akzente. Und Hemsing verfällt schnell in diese lange Erzählsequenz, lässt sich von ihr mitreissen. Ihre oft sehr leicht angesetzten und manchmal in starkem Vibrato ersterbenden Töne erinnern mich dann an einen Liebesfilm aus den 50er Jahren. Und so lassen mich Orchester und Solistin schnell in Träumen schwelgen, obwohl ich doch rezensieren soll!

Ragnhild Hemsing heimatverbunden

Die Hardangerfiedel kommt dann dramaturgisch angenehm im großen Schlusswerk zur Anwendung, dem Konzert für Hardangerfiedel & Orchester „3 Fjorde“ von Geirr Tveitt. Die Verwendung von Elementen der norwegischen Volksmusik ist unter den Klassikern des Landes gar nicht so verbreitet, somit war Tveitt (1908 bis 1981) einer der wenigen. Da Ragnhild Hemsing ihrer Heimatkultur sehr verbunden ist passt die Auswahl dieses Konzerts gut, und natürlich wegen der Hardangerfiedel. Aber Diese ist für die Geigerin weitaus mehr als Folklore. Hemsing hat sie von Anfang an spielen gelernt und sie begleitet sie schon ihr ganzes Leben lang. Da ist es nachvollziehbar, dass Hemsing das durch viele optische Verzierungen sehr ansprechende Instrument nicht hur zu besonderen Gelegenheiten rausholt, sondern dass sie es in ihr Programm integriert hat. 

Ragnhild Hemsing, Foto © Kaupo Kikkas
Ragnhild Hemsing, Foto © Kaupo Kikkas

Bei Tveitts Konzert geht es nach der Frage der Instrumentierung dann in die Zusammenarbeit. Orchester und Solistin kooperieren hier perfekt bei der organischen Dar- und Gegenüberstellung der vielen Wechsel aus Volksmelodien und Harmoniken aus der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts. Immer wieder legen sich die Streicher des Orchesters perfekt dezent unter das ohne Vibrato gespielte Soloinstrument, um im nächsten Moment in cineastisch anmutendem Decrescendo Hemsing Ebenen zu öffnen, die sie mit der Fiedel beschreiten kann. 

Der letzte Satz gibt dann den Holzbläsern viele Gelegenheiten sich mit Akzenten zu zeigen, was oft auch vom Schlagwerk in Bühnenmusikmanier begleitet wird, und dann in einem volksfestartig fröhlichen Ende mündet.

Dieses Album ist ein wichtiger Pfeiler im laufenden Klassikjahr. Ragnhild Hemsing wird als Künstlerin in ihren verschiedenen Facetten immer vollumfänglicher, und es gelingt ihr mit immer mehr traumwandlerischer Sicherheit Aufnahmen in Aspektvielfalt zu konzipieren und mit dreidimensionaler Charakterstärke umzusetzen. 

Titelfoto © Kaupo Kikkas.

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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