Einfach Klassik.

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Stefan Goldmann Cover

CD-Review: Stefan Goldmann – Input (The Sofia Versions)

Stefan Goldmann hatte eine großartige Idee!

Was wie der Beginn eines Kinderbuches klingt, ist für mich Realität. Aber wer ist Stefan Goldmann? Kennern von zeitgenössischer elektronischer Musik und elektronischer Tanzmusik ist er schon lange ein Begriff. Als DJ und Produzent von House und Techno begann er sein musikalisches Schaffen. Doch das ist lange her, seit vielen Jahren schon erfreut uns Goldmann auf seinem eigenen Label Macro Recordings mit feinen Alben elektronischer Musik.

Stefan Goldmann
Stefan Goldmann

Das Input-Projekt geht aber noch einen Schritt weiter, und hier kommen wir zur anfangs erwähnten Idee. Um diese zu erfassen, muss man kurz etwas weiter greifen. Eine Produktionsform im Genre, in dem Goldmann tätig ist, ist der Remix – eine elektronische Bearbeitung oder sogar Nachbildung eines originalen Musikstücks. Am häufigsten passieren Remixe von Popmusik, die in elektronische Genres (House, Trance etc.) umgearbeitet werden. Goldmann dreht diesen Prozess auf links. Er hat mit Unterstützung einer Kommissionierung zunächst den Input-Remix produziert, ohne zu remixende Vorlage. Aber nicht, um ihn zu veröffentlichen. Im nächsten Schritt hat der Musiker in Kooperation mit den drei Komponisten Lukas Tobiassen, Daniel Chernov und Adrian Pavlov aus dem Remix dann drei „originale“ Stücke für akustisches Ensemble abgeleitet, und diese Stücke wurden dann live gespielt aufgenommen. Diese Aufnahmen hat er dann nochmal elektronisch nachbearbeitet und damit finalisiert. Somit hat Stefan Goldmann den Remix-Prozess komplett umgedreht, die resultierenden Aufnahmen der „Originalstücke“ auf der neuen Platte „Input (The Sofia Versions)“ veröffentlicht und unverschämterweise den bizarr final am Anfang stehenden „Remix“ gar nicht zugänglich gemacht. „Nicht so wichtig“, mögen Sie denken, aber wenn auch Sie die Schönheit in den Input-Aufnahmen gefunden haben werden, dann wird auch Sie diese große Unbekannte, diese mondäne Leerstelle umtreiben. Sie steht zwischen den Aufnahmen als weiße Projektionsfläche, auf die wir Hörer*innen unsere Kreativität, unsere Wünsche und Hoffnungen für dieses geheime Stück Musik abbilden können. Jedenfalls passiert genau das bei mir ständig, wenn ich das Album höre.

Melodiös und musikalisch

Aber, huch, wer spielt denn da eigentlich? Einem Klassik-Magazin unwürdig habe ich das bisher ganz verschwiegen. Nach all der Vorbereitung und Planung des Input-Projektes musste die resultierende Musik ja noch gespielt und aufgenommen werden, und auch das hat Stefan Goldmann dann sehr „in style“ erledigt. Das 180° Festival ist eine Plattform für interdisziplinäre, experimentelle Kunst in Sofia, Bulgarien. Es bringt internationale und lokale Künstler*innen zusammen, die neuartige Formate aus Musik (Experimentelles, Elektronik), Tanz, Performance, visuellem und zeitgenössischem Theater präsentieren. Dort kamen die Stücke „Химера – Chimera“, „Big Drop“ und „Gnomon A“ durch das ad hoc gebildete Ensemble 180° zur Aufführung und wurden aufgenommen. Die anschließende, letzte Bearbeitung durch Goldmann zur Klangverdichtung und Manipulation des Stereobildes brachte dann die auf „Input (The Sofia Versions)“ endgültig hörbaren Versionen hervor. Und diese sind für mich beim Hören ganz erstaunlich. Wirkt das zunächst wie „ganz normale“ Neue Musik, mit all den neuen, sehr agilen Emotionsdynamiken, dann wird bei längerem Hören aber die hohe musikalische Erzählkraft und -tiefe klar. „Химера – Chimera“ beginnt mit tieftönigen Klangpulsen am Klavier, die von saitenperkussiven Klängen gekontert werden, aber im späteren Verlauf wird das Ganze richtig melodiös und musikalische Themen werden erkennbarer, geben dem gesamten Stück einen Rahmen. Auch hier ist es wieder das Rezipieren der gesamten Produktion, das tiefe emotionale Erlebnisse ermöglicht.

Ensemble 180°
Ensemble 180°

Und in „Big Drop“ geht es munter weiter mit den musikalischen, richtig eingängigen Themen, die mit viel Gestaltungsfreude musiziert werden. Hier sind es gerade die Bläser im Ensemble – Bassklarinette, Flöte und Oboe –, die ihre tragenden Rollen wunderbar ausfüllen. Da heißt es mit Recht am Schluss: „That was easy!“.

Stefan Goldmann mit Super-Zeitlupe

Nach dem dritten Stück „Gnomon A“, das sehr sphärisch wandelnd erscheint und das vom Ensemble mit viel Witz und Spaß in unendlichen Frage-Antwort-Spielen gestaltet wird, kommt dann noch ein vierter Track, „Extension 1“, in dem der Ausklang von „Gnomon A“ verlängert und langwellig moduliert und modifiziert wird. Was wirklich als plötzlich eingefrorenes Super-Zeitlupenbild der vorangegangenen drei Musikstücke wirkt.

Ensemble 180°
Ensemble 180°

Auf der Longplayer-Version von „Input (The Sofia Versions)“ finden sich dann nochmal drei weitere Tracks, die sich als vierte, wohl bei der Aufführung entstandene Version des Remixes entpuppen, die in drei Teilen geliefert wird und die auch mit einiger dramaturgischer Kraft aufwarten kann.

Man muss das selbst hören, aber nach der Beschäftigung mit dem Album bin ich tief beeindruckt. Und auch wenn ich damit beweise, dass ich das Konzept des Projektes dann doch nicht verstanden habe: Ich würde den Input-Remix so gerne hören können!

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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