Wenn ich mich dafür entscheide, über eine Aufnahme zu schreiben, dann liegen dem oft Charakteristika der beteiligten Künstler*innen zugrunde. Im Fall der vorliegenden Produktion – der Aufnahme zweier Orchesterwerke des dänischen Komponisten Thomas Agerfeldt Olesen mit dem Danish National Symphony Orchestra unter Otto Tausk, sowie dem Cellisten Johannes Moser – waren es die besonderen Eigenschaften der Musik des Komponisten, die mich sofort angesprochen haben. In der Diskussion über seine Werke wird oft von Räumen oder Räumlichkeit gesprochen, die mich aus sich heraus auch interessiert hat.
Die Aufnahme
Gerade das Titelwerk “Der Wind bläset wo er will”, Olesens bisher größtes Orchesterwerk, lässt in sich immer wieder eigene, kleine Sphären entstehen. Und das Danish National Symphony Orchestra präsentiert das Werk mit viel Gestaltungsliebe. Olesen hatte beim Komponieren einen Besuch im Wald im Kopf, bei dem so mancher ja die arbiträren, nicht vom Menschen gestaltbaren Eigenschaften der Natur nicht wahrnimmt, sondern nur ein von sich selbst vorgefertigtes Bild des Naturerlebnisses zulässt. Der Komponist wollte dem etwas entgegensetzen, und mit ungewöhnlichen und überraschenden Räumlichkeiten und Harmonien das Unerwartbare in der Natur betonen. Das Orchester setzt das sehr bildlich erzählend um, indem die Musiker*innen die vielen impulsstarken Gestaltungselemente unter anderem des reich besetzten Schlagwerks eindringlich, ernsthaft, zugleich aber auch mit Witz und Ironie gestalten.
Ungewöhnliche Harmonien? Damit wären wir beim für mich zweiten, großen Attribut dieser Musik. Olesens geschriebene Mischung aus überraschenden Akkorden und Akkordverläufen, und Referenzen auf frühere Epochen lähmt den zuckenden Finger auf der Skip-Taste des Musikplayers effektiv. Zeigt das Ensemble hier doch eine fast atemberaubende Interpretationssicherheit in der tief ins Werk verwobenen Mikrotonalität. Fehlende Klarheit wirkt da ja schnell mal so gar nicht gut. Aber nicht nur im Kleinen, auch die großen Erzählungen hat das Orchester raus, und blättert mit genau der richtigen Geschwindigkeit und Variabilität durch die vielen Seiten dieser reizvollen Wald-Geschichte, wird bei den Chopin-Verweisen im letzten Satz dann sogar etwas symphonisch.
Als Hörer schon reich beschenkt mit diesem ersten Teil, folgt dann das Cello Konzert, wobei Johannes Moser den Solopart übernimmt. Und da bekommt diese CD nochmal eine weitere Dimension an Attraktivität. Olesen, selbst ausgebildeter Cellist, komponierte hier vielleicht genau wegen des eigenen Hintergrundes ungewöhnlich und frisch. Die lange Kadenz am Anfang besteht fast komplett aus einer lebhaften Mixtur von modalen Skalen, die spielerisch, mit fast kindlicher Unruhe angelegt sind.
Thomas Agerfeldt Olesen und das Werk
Und das Kindliche findet sich öfter in diesem Werk. Olesen schrieb das Konzert während seine Mutter im Sterben lag, die für ihn in bewegten Lebensphasen ein sicherer Hafen war. Während ihrer Pflege durch die Familie flossen viele Emotionen in das neue Werk ein, die der Komponist mit Strukturen zu bändigen versuchte. Strukturen, an die er sich jedoch heute nicht mehr genau erinnert. Diesem sehr persönlichen und intimen Hintergrund werden alle an der Aufnahme beteiligten Musiker*innen so vortrefflich gerecht, dass man beim Hören sehr leicht Geist und Herz mitfühlen lassen kann.
Johannes Moser, über alle technischen Anforderungen erhaben, geht so warmherzig die Zusammenarbeit mit dem Orchester ein, nimmt deren Stimmungen auf, fügt sich nahtlos ein wenn erforderlich. Mit seinem eigenen, charakteristisch im Vibrato gestalteten Ton ist er der perfekte Interpret für dieses Konzert, um die vielen flehenden Melodien ausdrucksstark zu gestalten, und damit Einblick in die wilde Gefühlswelt des Komponisten zu geben. Seine große Erfahrung in der Neuen Musik wird eindrucksvoll hörbar, wenn er wieder und wieder mit traumwandlerischer Sicherheit anspruchsvolle Harmonieverläufe gemeinsam mit dem Orchester zu einem musikalischen Gesamtbild formt, wodurch die Hörer*innen die Musik unverstellt als Verbildlichung von Gefühlen erleben können. Gerade im letzten Satz steigert Moser Hand in Hand mit den Bläsern, und lässt dann am Schluss zusammen mit den Streichern die Musik verschwinden.
Resümee
Weiterhin fällt auch Olesens Lust auf Instrumentierung auf. Während im ersten Werk unter anderem eine singende Säge zu hören ist, wirkt im Cellokonzert erfreulicherweise die in größeren klassischen Ensembles leider selten anzutreffende Konzertgitarre mit.
In dieser Aufnahme treffen verschiedene Charaktere aufeinander, und kombinieren ihre Stärken zu einem Hörerlebnis mit großer Tiefe. Ein weiteres Beispiel dafür, wieviel man verpassen kann, wenn man an Neuer Musik „vorbeihört“.