Als ich die Gitarristin Anne Haasch zum ersten mal spielen sah und hörte, passierte etwas sonderbares. Ich kam gar nicht richtig mit, und bewunderte einfach ihr hohes Maß an Konzentration. Alle Musiker*innen sind im Vortrag auf ihr Spiel fokussiert. Aber bei Anne Haasch ist da noch etwas anders. Diese ernsthafte Introvertiertheit, die bei ihr sofort augenfällig ist, wenn man sie musikalisch erlebt, fordert die Zuhörenden und animiert sie dazu, mehr darüber wissen zu wollen, wie Haaschs Vortrag entsteht und wo er hinführt.
Etwas erleben
Und genau so verhält es sich auch, wenn man das Debütalbum der Gitarristin “Werke für Gitarre” hört, denn auch hier besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der ersten auditiven Begegnung, und dem tieferen, konzentrierten Eintauchen in die Aufnahme. Die technisch teilweise sehr anspruchsvollen Werke, lässt die Musikerin mühelos wirken, setzt Leichtigkeit als oberste Prämisse. Selbst martialischer angelegte Forte-Abschläge wirken eher wie lockeres Aufwärmtraining, Wenn man aber – und ich empfehle das bei dieser Aufnahme besonders dringend! – sich hinsetzt, und mit geschlossenen Augen und vielleicht Kopfhörern hört, sich voll darauf einlässt und konzentriert, dann taucht man ein in Haaschs Mikrokosmos. Dann beginnt man zu verstehen, was die Gitarristin erzählen will, über die Musik, die sie für das Album so punktgenau ausgewählt hat. Man erfährt dann was Anne Haasch in ihrem eigenen Spiel erleben will, zusammen mit der Musik, mit den Intentionen der Komponisten, und vielleicht auch mit den Hörenden. Mir hat sich da plötzlich eine ganze Welt geöffnet, und die Frage, ob ich dazu etwas im Blog schreiben kann war in diesem Moment beantwortet.
Am Übergang
Die Werkauswahl sieht beim ersten Überfliegen nach einfach zu treffenden Entscheidungen aus. Die berühmte “Sonata para Guitarra” von Antonio José, Milhaud, Poulenc und “In the Woods” von Toru Takemitsu, für den Haasch als Expertin geführt wird. Aber auch hier hat man die Möglichkeit, durch etwas mehr Interesse auch mehr zu sehen und zu erleben. Fast alle Komponisten auf dem Album wirkten im Übergang von Romantik zur Neuen Musik, nur Takemitsu blickte auf Diese zurück. Seien es Francis Poulenc oder Darius Milhaud im französischen Musikerkollektiv “Les Six”, wo die radikale Abkehr von Romantik und Impressionismus gefordert wurde, oder in Spanien Antonio José und Roberto Gerhard, die vom der Künstlergruppe “Generación del 27” beeinflusst waren. Und abgesehen von den vielen Verbindungen und Gemeinsamkeiten, die zwischen all den Komponisten bestanden, verstanden sie es, die Gitarre kompositorisch in Szene zu setzen, und damit intime Räume zu schaffen. Ein Spielfeld wie geschaffen für die Instrumentalistin Anne Haasch, die nach ihrer mit Auszeichnung abgeschlossenen Ausbildung an der Hochschule für Musik in Weimar, nach unzähligen Konzerten und Lehrtätigkeit im Ausland, mittlerweile an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig unterrichtet.
Diese Erfahrung ermöglicht es Haasch gleich zu Beginn die “Sonata para Guitarra” immer spielerisch unbeschwert zu präsentieren, und auch bei anspruchsvollen Details immer alle Interpretationsmöglichkeiten zu behalten. Leichtere Abschnitte wie den zweiten Satz “Minueto” gestaltet sie sehr erzählend und fast schwerelos.
Schlichte Schönheit
Besonders gefallen hat mir die “Sarabande” von Francis Poulenc. Anne Haasch arbeitet hier vor allem die bestechende Einfachheit dieses kleinen, wunderschönen Stücks heraus, das Poulenc 1960 auf einer Konzertreise geschrieben hat. Die Konzentration auf die schlichte Schönheit der Melodien, und vor allem des einprägsamen Anfangsthemas stellen in dieser Aufnahme die Stärken des Stücks gut dar.
Mit “In the Woods” spielt Haasch dann zum Schluss das vielleicht bedeutendste Werk Toru Takemitsus. Das am Ende einer ganzen Reihe an Stücken für Gitarre stehende, dreisätzige Werk des japanischen Komponisten, schliesst all seine Herangehensweisen an das Instrument ein, und stellt eine seiner populärsten Kompositionen dar. Anne Haasch bietet eine in Teilen nüchterne Interpretation, die so aber auf übertriebene Effekte verzichtet, und sich auf das Wesentliche in Takemitsus Musik konzentriert. Zum Beispiel die Auswahl von Tempi und deren Veränderungen, oder Lautstärkeverläufe, die die Gitarristin bewusst leisetönig ansetzt. Sie scheint sich lieber an die Ursprünge dieser Komposition, Naturbilder Nordamerikas, zu erinnern, statt mit übertriebener Interpretationsgewalt beeindrucken zu wollen. Den zweiten Teil “Rosedale” kleidet sie mit fein gestalteten Dynamikverläufen sehr erzählend aus, und schafft so eine besondere Räumlichkeit im abgegrenzten Kosmos dieser Musik. Auch hier hört man wieder förmlich die hohe Konzentration Haaschs auf die Nachrichten, die Takemitsus Werk transportieren könnte oder sollte. Im dritten Teil “Muir Woods” betont sie eindrucksvoll die vielen Fragen, die auch in diesem Dreiteiler verborgen sind, indem sie Pausen ausspielt, und ihre Anschlagsdynamik sehr variable hält.
Mit dem Album ”Werke für Gitarre” hat Anne Haasch einen äusserst interessanten und konzeptionell sehr gelungenen Einstieg in die Welt der Veröffentlichungen gefunden, und wir können alle gespannt sein, was da noch kommt.
Am besten erhält man die CD direkt über die Website der Künstlerin, hier.